Hinter Sam Altman und dem US-Softwareunternehmen OpenAI liegen turbulente Tage. Nach dem plötzlichen Rauswurf des CEOs und Mitgründers der KI-Firma letzten Freitag jagte eine Schlagzeile die nächste. Bis die überraschende Wendung im Tech-Drama kam: Mittwochfrüh wurde Altmans Rückkehr in die Firma verkündet.

Für Aufsehen sorgte vor allem die Solidarität der Belegschaft gegenüber ihrem scheidenden Geschäftsführer. Denn die Beschäftigten gingen nach einem ursprünglich angekündigten Wechsel von Altman zu Microsoft auf die Barrikaden. Laut Medienberichten sollen 738 der 770 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem offenen Brief mit einer Kündigung sowie einem Wechsel ins neue Team ihres ehemaligen Chefs gedroht haben, sollte der Aufsichtsrat nicht zurücktreten und Altman wiederkommen.

Sam Altman sitzt auf einem Sessel und gestikuliert mit seinen Händen
OpenAI-Mitgründer und (wieder) Geschäftsführer Sam Altman bei einer Konferenz Mitte November.
APA/Getty Images/Justin Sullivan

Stars der Tech-Branche

"Wie Steve Jobs’ Rausschmiss bei Apple für die Tiktok-Generation" beschrieb ein User auf der Plattform X, vormals Twitter, die neuesten Ereignisse bei OpenAI. Der Apple-Mitgründer und langjährige CEO wurde 1985 nach einer Meinungsverschiedenheit entlassen und kehrte erst zwölf Jahre später ins Unternehmen zurück. Das Drama rund um Sam Altman spielte sich innerhalb weniger Tage ab, die Analogie zur schnelllebigen Videoplattform dürfte daher recht passend sein.

Die einzige Parallele zwischen den beiden Tech-Chefs ist das jedoch nicht. Denn auch Steve Jobs galt als Vorreiter in der Tech-Szene, wurde von Menschen weltweit für seinen Innovationsgeist bewundert und wie ein Superstar gefeiert. Bei Apple zu arbeiten wurde zu einem Traum für viele IT-Talente. Ähnlich ist heute das Image von Sam Altman und OpenAI.

Aber welche Rolle spielen Führungskräfte überhaupt für die Beschäftigten? Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Unzähligen Studien zufolge tragen Chefinnen und Chefs stark dazu bei, ob Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz verlassen oder nicht. Als Hauptgründe für eine frühzeitige Kündigung gelten laut einer aktuellen Umfrage des Karrierenetzwerks Xing ein zu nie­driges Gehalt sowie die Unzufriedenheit mit der Führungskraft – mit jeweils 43 Prozent.

Steve Jobs steht auf einer Bühne und hält eine Produktpräsentation
Kaum ein CEO war so sehr mit einer Marke verbunden, wie Steve Jobs mit Apple.
imago/UPI Photo

Großes Potenzial

"Man sagt zwar, Menschen verlassen nicht das Unternehmen, sondern ihre Führungskraft. Aus meiner Erfahrung stimmt das aber nur zum Teil", sagt Arbeitspsychologin Christine Hoffmann. Vielmehr kündigen Beschäftigte, weil sie den Menschen nicht mögen, der sie selbst unter der Führungskraft geworden sind. "Denn wir wollen gute Leistung bringen, das Streben nach Kompetenzerleben ist in uns. Unter dieser Voraussetzung funktioniert das aber nicht", erklärt sie.

Nicht nur die oder der direkte Vorgesetzte sei dafür entscheidend, auch der Geschäftsführung komme eine wichtige Rolle zu: "Um unser volles Potenzial zu entfalten, braucht es eine gute Strategie." Im Fall von Steve Jobs und Sam Altman werde der Unternehmenserfolg besonders stark mit ihrer Person verknüpft. "Inwieweit das wirklich stimmt, ist natürlich schwer zu sagen", sagt Hoffmann.

Einen weiteren Faktor, der zum Kult rund um die Unternehmer beiträgt, sieht die Arbeitspsychologin im Beziehungsaufbau: "Auch wenn die meisten Mitarbeitenden nicht direkt mit ihnen in Kontakt stehen, bringen sie ihnen ein großes Vertrauen entgegen und haben meist das Gefühl, dieselben Wertvorstellungen zu teilen." Die gemeinsame Vision führe zudem zu einer starken Identifikation mit der Führungsperson und dem Unternehmen.

Rund um die Entlassung von Sam Altman komme auch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl hinzu: "Aus dem Brief der Belegschaft geht auch hervor, dass Altman als einer von ihnen wahrgenommen wurde. Für ihn und gegen das Unrecht, das ihm – nach Auffassung der Unterzeichnenden – angetan wurde, wollten sie ankämpfen", sagt Hoffmann.

Interner Konflikt

Um zu verstehen, wie es überhaupt dazu kam, lohnt sich ein Blick auf die Geschichte des jungen Unternehmens. Im Jahr 2015 wurde OpenAI von einer Gruppe aus KI- und IT-Fachleuten als Non-Profit-Organisation gegründet. Das große Ziel: Die Entwicklung einer sogenannten Artificial General Intelligence (AGI), also einer künstlichen Intelligenz, die Menschen in beinahe allen wirtschaftlich relevanten Tätigkeiten übertreffen und von der dennoch die gesamte Menschheit profitieren sollte.

Im Gegensatz zu Tech-Konzernen wie Meta oder Google sollte nicht gewinnorientiert gewirtschaftet werden und der Quelltext der entwickelten Software öffentlich für alle zugänglich sein. Bereits vier Jahre nach der Gründung kam es zu einer Anpassung des Unternehmens­modells. 2019 gründete OpenAI eine Tochtergesellschaft, die kom­merzielle Produkte entwickeln sowie neue Talente anlocken solle – und bis zu einem gewissen Grad auch Gewinne erzielen dürfe. Die Kon­trolle über die Firma habe jedoch weiterhin der Non-Profit-Vorstand.

Im letzten Jahr "brach das fragile Gleichgewicht" laut Angaben derzeitiger und ehemaliger Angestellten gegenüber dem Atlantic zusammen – mit der Veröffentlichung jenes Produkts, das OpenAI weltweit bekannt machte: ChatGPT. Während der KI-Chatbot neue Rekorde bei Nutzerzahlen aufstellte und künstliche Intelligenz für Millionen von Menschen erstmals greifbar machte, schienen sich die Fronten intern zu verhärten.

Die Ereignisse bei OpenAI machen auch die Risiken der Verbindung zwischen CEO und Firma deutlich: "Wenn eine Person zum Gesicht des Unternehmens wird, macht man sich auch stark von ihr abhängig und drängt womöglich andere Personen und deren Beitrag in den Hintergrund." Von den Kult-CEOs können andere laut Hoffmann trotzdem einiges lernen: "Diese starke Begeisterung nach außen zu tragen und Beziehungen zu anderen aufzubauen kann ein großer Vorteil sein – in der Belegschaft und in Bezug auf Kundinnen und Kunden." (Anika Dang, 25.11.2023)