Menschengruppe mit palästinensischen Fahnen mit dem Landesgericht im Hintergrund.
Zwischen Shoah-Gedenkstätte und Landesgericht protestieren Pro-Palästina-Aktivisten und -Aktivistinnen für einen Angeklagten.
APA / EVA MANHART

Wien – In der Baustellenlandschaft vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, direkt vor der Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte, demonstriert ein kleines Grüpplein seine Solidarität mit Herrn Mag. P., der sich an diesem Donnerstagnachmittag wegen Gutheißung einer terroristischen Straftat vor Richter Stefan Apostol verantworten muss. Der 56-jährige Hausmann soll laut Staatsanwältin Petra Freh auf Youtube und seiner privaten Webseite ein Video seiner Rede vom 7. Oktober 2023 gepostet haben, in der er aus Sicht der Anklägerin den Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel gutheißt. P. bestreitet das vehement und wortreich.

Der unbescholtene Österreicher ist nach eigenen Angaben "International Secretary" einer kommunistischen Gruppierung und hat in Österreich auch eine kommunistische Partei angemeldet. Er selbst nennt sich vor Gericht "revolutionärer Marxist" und erzählt, dass er seit 40 Jahren politischer Aktivist sei. Am Vormittag des 7. Oktober hielt er gegen 11 Uhr auf dem Stephansplatz auf Englisch eine Rede, in der er unter anderem von einem "gerechten Krieg der Palästinenser", einem "historischen Augenblick" und dem "palästinensischen Befreiungskampf" sprach. Aber auch von 2000 von der Hamas auf Israel abgefeuerten Raketen und "144 Gefangenen".

Das sei P.s Wissensstand an diesem Vormittag gewesen, argumentiert Verteidigerin Astrid Wagner, er habe damals noch nicht gewusst, dass die Hamas dahinterstecke. "Ich bereite mich immer sehr gut vor!", verrät sie ihre Arbeitsweise, in diesem Fall habe sie den Mandanten als "außerordentlich empathischen" Menschen mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn erlebt. Und P. habe selbst jüdische Vorfahren, von denen einige im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet worden seien. Außerdem sei die Anklage fehlerhaft, und Passagen der Rede seien falsch übersetzt worden, prangert Wagner an.

Übersetzungsfehler in Anklageschrift

Damit habe sie recht, pflichtet ihr Richter Apostol im Verlauf des Verfahrens bei. So wird aus "zionistic state" (zionistischer Staat) in der Anklageschrift plötzlich der "satanische Staat", aus der Annahme der "globalen Unterdrückung durch den israelischen Apartheitsstaat" plötzlich "die globale Unterdrückung durch Israelis". Für den Angeklagten ist das eine "politische Verfälschung", wie er in seinem Schlusswort erklärt, überhaupt sei das ganze Verfahren ein "politischer Prozess". Die Sichtweise der Staatsanwältin sei die von "relevanten Teilen der politischen Elite", natürlich auch der Medien, und einseitig proisraelisch. Auf seiner Webseite wurde P. in einer Stellungnahme noch deutlicher: "Damals wie heute – Österreich unterstützt Völkermord!"

"Warum setzen Sie sich als Hausmann für die Palästinenser ein?", interessiert Richter Apostol. Der merklich belesene Angeklagte referiert über die Unterdrückung durch Israel, über ein sogar von der Uno verbrieftes Recht zum bewaffneten Widerstand gegen Kolonisatoren, stellt aber auch klar: "Ich lehne Terrorismus ab!" Damals, am Vormittag des 7. Oktober, sei er von einem koordinierten Angriff von palästinensischen Kräften auf den israelischen Sicherheitsapparat ausgegangen. Dass dieser auf israelischem Gebiet stattfand, erwähnt er nicht. Das Massaker an Zivilisten und die Vergewaltigungen von Israelinnen hätten kriminelle Elemente verübt, zeigt er sich überzeugt. Zusammengefasst: "Ich glaube, dass Aktionen passiert sind, die legitim sind, und solche, die nicht legitim sind."

Raketenbeschuss als "symbolische Aktion"

Den von der Hamas verschleppten jüdischen Zivilistinnen und Zivilisten stellt er "mehr als 9000 Palästinenser, die als Geiseln festgehalten werden", gegenüber und meint damit offenbar unter anderem gerichtlich verurteilte Häftlinge. Die Hamas selbst sieht er als eine Organisation, die in der Vergangenheit auch terroristische Aktionen durchgeführt habe, aber nicht als Terrororganisation. Zu den 2000 auf israelische Städte abgefeuerten Raketen fragt ihn seine Verteidigerin Wagner: "Das ist wie eine symbolische Aktion, das richtet eh keinen Schaden an?" – "Davon bin ich ausgegangen", lautet P.s Antwort.

Warum er die Videos, die nach Angaben des Angeklagten in seinem Auftrag, aber nicht von ihm online gestellt wurden, nicht offline genommen habe, will Richter Apostol wissen. "Ich stehe zu dem, was ich tue", gibt sich der Angeklagte hart. "Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte", zeigt er sich in seinem pathetischen Schlusswort wie einst schon Adolf Hitler und Fidel Castro Ruz überzeugt. Die Staatsanwältin fordert dagegen eine strenge Strafe für die Gutheißung des "schlimmsten Massenmordes an Juden seit dem Holocaust".

"Beide Seiten haben recht, deshalb kommt ein Mittelweg heraus", begründet der ob der IT-Probleme im Saal vergrämte Apostol am Ende seine Entscheidung. Er verurteilt P. wegen Gutheißung durch Unterlassung zu sechs Monaten bedingter Haft und ordnet an, dass die Videos nach Rechtskraft offline genommen werden müssen. Es könne sein, dass der Angeklagte in seiner Rede tatsächlich von einer militärischen Aktion ausgegangen sei, strafbar sei es aber geworden, als er die Aufnahmen nicht entfernte, als der wahre Hintergrund und die Folgen bekannt waren. Beide Seiten nehmen sich Bedenkzeit, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 2.5.2024)