Die Klimakrise und der Hunger sind eng miteinander verknüpft. Zwar ging die Unterernährung lange zurück, doch seit einigen Jahren steigt sie aufgrund von Konflikten, Pandemiefolgen und Extremwetter wieder. Martin Frick spricht im Podcast "Edition Zukunft Klimafragen" über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Welternährung – und wie man in Zukunft vorsorgen könnte. Er ist Direktor des Büros des UN World Food Programme (WFP) für Deutschland, Österreich und Liechtenstein und war bei der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und als Klimachef der Welternährungsorganisation FAO tätig.

STANDARD: Herr Frick, jahrzehntelang ging der Anteil der Hungernden auf der Welt zurück. Es hat es so ausgesehen, als wäre der Hunger auf der Welt bald besiegt. Nun nimmt sowohl die Zahl als auch der Anteil der Hungerleidenden wieder zu. Warum ist das so?

Frick: Wir haben ja 2015 die nachhaltigen Entwicklungsziele, die Sustainable Development Goals, verabschiedet. Damals war man so optimistisch, dass man gesagt hat: Wir schaffen den Hunger bis 2030 ab. Unmittelbar danach, so ab 2015, 2016, hat sich der Trend genau in die andere Richtung entwickelt – erst langsam und jetzt rasant. Dafür gibt es mehrere Gründe. An erster Stelle muss man die Kriege nennen. Wir haben tatsächlich mehr als doppelt so viele aktive Kriege wie vor zehn Jahren. Dazu kamen die Folgen der Pandemie mit unterbrochenen Lieferketten und indirekten Auswirkungen wie Arbeitsplatzverlust und steigender Verschuldung. Und dann natürlich merken wir, wie jedes Jahr der Klimawandel mehr auf die Preise drückt und auf die Lebensmittelproduktion einwirkt.

Somalia ist nur eines der vielen Länder, die aktuell von einer Hungersnot geplagt sind.
EPA/DANIEL IRUNGU

STANDARD: Wo gibt es derzeit die größten Probleme bei der Nahrungsmittelversorgung?

Frick: Ganz oben steht Gaza, das ist natürlich eine direkte Folge des Krieges. So eine dramatische Situation haben wir selten gesehen. Wir haben aber auch im Sudan eine riesige Hungerkrise, die fast unbemerkt bleibt. Die Folgen des Syrien-Konflikts sind nach wie vor da. Wir haben im Jemen riesige Probleme, in Afghanistan, in Haiti. Ich kann die Liste fast endlos weiterführen, weil wir in 79 Ländern extreme Hungerprobleme haben.

STANDARD: Die Weltbevölkerung wächst nach wie vor. Manche sagen: Bald geht es sich einfach nicht mehr aus, genug Lebensmittel für alle zu produzieren.

Frick: So, wie wir aktuell produzieren, könnten wir aus dem Stand heraus zehn Milliarden Menschen ernähren. Das klingt verblüffend, aber wir haben unglaubliche Ineffizienzen in unserem Ernährungssystem. Wir müssen zum Beispiel die Lebensmittelverschwendung reduzieren. In reichen Ländern wird ein Drittel der Lebensmittel in Haushalten, beim Handel und aufgrund von Schönheitsnormen verschwendet. Aber auch auf dem afrikanischen Kontinent gehen rund 40 Prozent der Lebensmittel verloren, weil es an Straßen, Kühlketten und Lagern fehlt. Als WFP arbeiten wir daher daran, diese Infrastruktur wiederherzustellen, damit Produzenten ihre Waren überhaupt auf den Markt bringen können. Wenn wir diese Ineffizienzen beseitigen, gibt es genug Lebensmittel für alle.

STANDARD: Das WFP kann aber nicht überall gleichzeitig sein. Wie entscheidet man, wo wie viele Nahrungsmittel hingebracht werden?

Frick: Wir sind so finanziert, dass 100 Prozent unserer Finanzierung projektgebunden sind. Wir sind also in der Regel gar nicht in der Situation, dass wir von Land A Geld nach Land B umleiten könnten, weil es dort dringender gebraucht wird. Tatsächlich sind wir so stark unterfinanziert wie seit unserer Gründung nicht mehr. Wir priorisieren und versuchen mit dem, was wir haben, wenigstens die zu erreichen, die sonst keine Chance haben – Frauen, Kinder, Alte und Menschen mit Behinderung. Insbesondere Kinder, weil Unterernährung zu lebenslangen Schäden führen kann.

STANDARD: Oft führten Konflikte an einem Ort zu Versorgungsengpässen an komplett anderen Orten – etwa der Ukrainekrieg, der zu Weizenmangel in Teilen Afrikas führte.

Frick: Ja, beim Beginn des Ukrainekriegs habe ich selbst gestaunt, wo es überall auf der Welt gewackelt hat – im Mittelmeerraum, Nordafrika, Zentralamerika, Südafrika. Das war der zweite Globalisierungsschock innerhalb kürzester Zeit nach der Corona-Krise. Länder merken nun, dass eine zu einseitige Exportorientierung in der Landwirtschaft schwierig ist. Ich glaube, es wächst das Bewusstsein, dass heimische Produktion eben auch Lebensversicherung ist.

STANDARD: Welche Regionen sind besonders von den Folgen des Klimawandels für die Nahrungsmittelversorgung betroffen?

Frick: Wir haben tatsächlich ein globales Problem. Es gibt kein Stück Land, das nicht gefährdet wäre – in Tirol durch Erdrutsche, in Burkina Faso, weil der Regen ausbleibt. Überall braucht es Anpassung und Diversifizierung in der Landwirtschaft. Ich habe ein einfaches Beispiel: Freunde von mir haben einen Bauernhof in Italien, da gibt es drei Pflaumenbäume. Als der erste blühte, kam überraschend Hagel, was eigentlich zu dieser Jahreszeit gar nicht üblich ist. Alle Blüten wurden zerstört, dieser Baum wird in diesem Jahr keine Früchte mehr tragen. Die anderen beiden waren aber Sorten, die später blühen – deshalb hielten sich die Ausfälle in Grenzen. Das ist ein ganz primitives Beispiel dafür, wie Diversifizierung den Anbau widerstandsfähiger macht. Reine Monokulturen sind den Folgen des Klimawandels nicht gewachsen. Wir müssen zu lokalen, angepassten Pflanzensorten zurückfinden und natürliche Kreisläufe schließen.

Martin Frick leitet das Büro des UN-Welternährungsprogramms für Deutschland, Österreich und Liechtenstein.
IMAGO/Metodi Popow

STANDARD: Auch weil viele Pflanzen sich nicht an die steigenden Temperaturen anpassen und deshalb ersetzt werden müssen.

Frick: Ja, der Weizen ist zu einer Standardsorte geworden, die man überall anbaut, vor allem für den Weltmarkt. Der ist aber nicht unbedingt für alle Gegenden geeignet, denn er ist hitzeempfindlich und benötigt relativ viel Wasser. Wir empfehlen deshalb, wieder mehr auf lokale, angepasste Sorten zurückzugreifen, etwa auf Linsen in Indien. Sie ist traditionelle Grundlage der indischen Ernährungsweise und auch viel, viel nährstoffreicher. Da gibt es Dutzende, Hunderte von Sorten, die wir essen könnten. Aber verrückterweise beziehen wir jetzt über 60 Prozent der globalen Kalorien aus nur drei Sorten.

STANDARD: Die Verursacher der Klimakrise sind oft weit entfernt von den Leidtragenden der Hungersnöte. Wie könnte man global einen Ausgleich schaffen?

Frick: Wenn man überall auf der Welt für den CO2-Ausstoß denselben fairen Preis bezahlen müsste, wären Kleinbauern in einer viel besseren Situation. Denn wenn sie ihr Land bestellen, binden sie große Mengen Kohlenstoff wieder im Boden. Was fehlt, ist ein globaler Kohlenstoffpreis. Es gibt aber immer mehr Unternehmen, die sehr verantwortlich sind und einen internen Kohlenstoffpreis festlegen, um ihren CO2-Fußabdruck zu kompensieren. Da sehe ich Möglichkeiten für mehr Gerechtigkeit.

STANDARD: Auf internationaler Ebene wird immer öfter auch über einen anderen Mechanismus diskutiert: Loss and Damage. Also Zahlungen, welche die Hauptverursacher des Klimawandels an betroffene Staaten leisten sollen.

Frick: Grundsätzlich ist es ein Gebot der Fairness, wenn Länder für durch den Klimawandel verursachte Schäden entschädigt werden. Die betroffenen Länder sind meist nicht in der Lage, diese Schäden selbst auszugleichen. Allerdings zeichnet sich schon ab, dass viel zu wenig Geld in diesen Loss-and-Damage-Mechanismus fließen wird. Und es wird eine große Konkurrenz um diese begrenzten Mittel geben. Ich vergleiche das gerne mit einer Versicherungsprämie: Anstatt eine hohe Versicherung für einen Fahrer abzuschließen, der gerne betrunken fährt, wäre es wohl besser, dass er eben nicht betrunken fährt. Alle Mechanismen, die Schäden ausgleichen, werden nie gut genug sein und gehen nicht an die Wurzel des Problems. Wir müssen unsere Emissionen drastisch reduzieren und uns auf die unvermeidbaren Folgen vorbereiten, indem wir Resilienz aufbauen.

STANDARD: Nicht nur bei der Ernährung, auch beim Wasser gibt es Versorgungsengpässe.

Frick: Absolut. Ich nehme mal wieder Burkina Faso als Beispiel. Dort haben wir jetzt 40 Prozent weniger verfügbares Wasser. Das kann man natürlich zu lösen versuchen, indem man Trinkwasser in Tankwägen über weite Strecken fährt. Aber das ist auf Dauer schwierig und teuer. Dabei gibt es selbst in den trockensten Ländern der Welt, etwa im Sahelgürtel, immer noch 350 bis 400 Milliliter Niederschlag. Das reicht eigentlich, um die lokale Bevölkerung mit Wasser zu versorgen. Aber sehr viel geht verloren, weil es keine ausgedehnten Regenzeiten mehr gibt. Stattdessen gibt es Starkregen, wo der Niederschlag, der eigentlich in einem Jahr fallen sollte, an einem Tag niedergeht. Da muss man Vorkehrungen schaffen, dass so viel Wasser wie möglich so lange wie möglich gehalten werden kann. Aber das ist gar nicht so einfach, weil die Böden nach langer Hitze und Trockenheit so hart wie Beton sind. Das ist schwere körperliche Arbeit, den Boden aufzuhacken, kleine Dämme zu bauen, die das Wasser zurückhalten, damit nicht alles in einem Rutsch wegfließt.

STANDARD: Das Ziel, den Hunger bis 2030 zu besiegen, geht sich wohl nicht mehr aus. Schaffen wir es bis 2050?

Frick: Wir könnten den Hunger sogar bis 2030 besiegen. Es ist politisch nur furchtbar schwierig. Zum einen müssten diese elenden Kriege endlich aufhören – wir können uns das einfach nicht mehr leisten. Das wenige verfügbare Geld muss dann wieder in eine Kriegsregion fließen, anstatt irgendwo Aufbauarbeit zu leisten. Zweitens müssen wir uns kritisch mit unseren Ernährungssystemen auseinandersetzen. Wir dürfen Landwirtschaft nicht einfach wie Bergbau betreiben, welche die Natur einfach nur ausbeutet, sondern so, dass sie natürliches Kapital aufbaut. Wir müssen uns genau überlegen, wo eigentlich die versteckten Kosten der billigen Lebensmittel liegen. (Philip Pramer, Nora Laufer, 19.4.2024)