Diese Schule einer ethnischen Lokalarmee befindet sich im Norden von Myanmar. Nach Luftangriffen durch die Tatmadaw muss sie neu aufgebaut werden.
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Wenn Sai Khaing Myo Tun mit dem Taxi durch Wien chauffiert wird, von einem Termin bei einer Botschaft zum anderen mit einem Parlamentarier, dann versteht er die Welt selbst noch nicht ganz. Er sei das nicht gewohnt. "Ich bin ein Vizeminister aus dem Dschungel", sagt der Burmese dann. Es ist noch nicht so lange her, da hat er im Dschungel in Myanmar gelebt und die Regierungsgeschäfte aus dem Untergrund geführt.

Wenn er internationale Gäste getroffen hat, ist er an die Grenze gereist, erzählt er. "Dort haben wir geredet und diskutiert." Nach einem Jahr ging er ins Ausland – wohin, das bleibt aus Sicherheitsgründen geheim. Irgendwo in Asien. "Ich muss an einem Ort arbeiten, wo es gute Internetverbindung gibt." Ist sein Chef, der Bildungsminister, noch in Myanmar oder im Ausland? "Das kann ich Ihnen nicht sagen." Er lacht höflich.

Seit Mai 2021 ist er Vizeminister für Bildung des burmesischen National Unity Government, kurz NUG. Das ist jene Regierung, die sich in Reaktion auf den Putsch in Myanmar im Februar 2021 gebildet hat. Sie besteht hauptsächlich aus Mitgliedern jener Partei, die im Herbst zuvor die demokratischen Wahlen gewonnen hatte, und versteht sich daher auch als die eigentlich legitime Volksvertretung – ganz anders als die Junta, die damals in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Macht an sich gerissen und einem zehnjährigen Demokratisierungsprozess abrupt ein Ende bereitet hat. Die wichtigsten bisherigen Köpfe des Staates kamen ins Gefängnis oder unter Hausarrest: Aung San Suu Kyi ist die Bekannteste von ihnen. Aber auch Präsident U Win Myint und viele weitere hochrangige Politiker, insgesamt über 25.000 Menschen wurden seitdem laut Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) verhaftet.

Anerkannt wird diese NUG-Regierung nur von wenigen. In Tschechien etwa gibt es bereits ein Vertretungsbüro, auch in Frankreich, Norwegen, den USA und Australien. Derartige Unterstützung bekommt Sai Khaing Myo Tun in Wien nicht. "Es geht um zumindest moralische Unterstützung", meint er. Geld brauche er ja gar nicht, aber man könnte klar zeigen: Als demokratisches Land unterstützen wir euren demokratischen Kampf.

Finanzierung durch Spenden und Lotterien

Mithilfe von Spenden anderer Burmesen, Landverkäufen und auch Lotterien finanziert sich die NUG. Seit neuestem nimmt sie auch Steuern in jenen Territorien ein, die sie mittlerweile kontrolliert. Tatsächlich hat das burmesische Militär, auch Tatmadaw genannt, die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren – nicht nur an die NUG. Myanmar ist seit Jahrzehnten ein Fleckerlteppich an teils rivalisierenden ethnischen, oft bewaffneten Gruppen. Seit dem Putsch kommt es aber zur Konsolidierung: Und so kann die NUG heute, in Kooperation mit vielen der ethnischen Armeen, nach eigenen Angaben rund die Hälfte des Landes kontrollieren.

In jenen Territorien wurden bisher knapp 6000 Schulen aufgebaut; mehr als 60.000 Lehrer arbeiten für die NUG-Einrichtungen. "Wir haben bei null begonnen", erzählt Tun. "Als Regierung der Revolution hatten wir anfangs nichts" – kein Büro, gerade mal drei Minister, insgesamt "eine Handvoll Personen, die sich getraut haben, mit uns zusammenzuarbeiten". Es hätten nach dem Putsch zwar sehr viele Menschen das Militär boykottiert, allen voran Studierende und Lehrer. Aber sich "aktiv der Revolution" anzuschließen, wie er sagt, das brauche viel Überzeugungsarbeit.

Die Schulen sind oft nur einfache Räume in Holzhäusern, wie hier eine Schule im Shan-Bundesstaat.
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Zwar habe Bildung in Myanmar einen sehr hohen Stellenwert. Um das zu untermauern, zitiert Tun ein burmesisches Sprichwort: "Bildung ist wie ein goldener Topf voller Schätze, den dir niemand stehlen kann." Doch nach dem Putsch, als man sich im Widerstand dazu entschied, zu den Waffen zu greifen, bezweifelten viele, ob man nun wirklich ein Bildungsministerium brauche. Sollte man sich nicht besser auf den Kampf konzentrieren?

Der ehemalige Professor Tun kämpfte aber für das Ministerium. Es sei wichtig, langfristig zu denken, in einem Land, wo es so viel Braindrain gebe. "Lernen und kämpfen, lernen und kämpfen", fasst der Vizeminister den Kampf gegen die Junta heute zusammen.

Schulen und Lehrer als Angriffsziele

So zielt das Militär auch konkret auf Bildungseinrichtungen ab. Im September 2022 bombardierte die Tatmadaw eine Schule. Im Oktober 2022 köpften Tatmadaw-Soldaten einen Lehrer. Immer wieder machen derartige Horrormeldungen auch in Österreich Schlagzeilen. Dazwischen ist es ruhig um Myanmar – die Kämpfe gehen aber weiter.

Was die aktuelle Eskalation des Konflikts betrifft, so haben sich beide Seiten verkalkuliert. Die Generäle, weil sie dachten, den Putsch schnell durchziehen zu können. Die Widerständler, weil sie dachten, in drei bis sechs Monaten sei alles wieder vorbei.

Keiner behielt recht. Drei Jahre nach dem Putsch sind die Kämpfe heftiger, die Militärjunta brutaler denn je. Diese gerät immer mehr unter Druck. Am Freitag gestand sie ein, die wichtige Stadt Myawaddy an der thailändischen Grenze an die Widerstandsarmeen verloren zu haben. Und vor rund einer Woche zielten Drohnen auf Militärziele in der Hauptstadt Naypyidaw – darunter nach NUG-Angaben auch die Residenz von General Min Aung Hlaing. Thailand hat am Freitag zugesagt, 100.000 Flüchtlinge aufzunehmen – und die Junta ermahnt, die Gewalt einzudämmen. (Anna Sawerthal, 12.4.2024)