Mo Harawe wird mit seinem Langfilmdebüt
Mo Harawe wird mit seinem Langfilmdebüt "The Village Next to Paradise" in Cannes vertreten sein. Der Wahlwiener wurde in Mogadischu geboren.

Letztes Jahr war es Jessica Hausner mit "Club Zero", heuer geht es für den Wahlwiener Mo Harawe nach Cannes: Der in Somalia geborene Regisseur ist mit seinem Spielfilmdebüt "The Village Next to Paradise" in der Reihe "Un Certain Regard" des prestigeträchtigen Filmfestivals an der Côte d'Azur vertreten.

Bereits mit seinem Kurzfilm "Will my parents come to see me" konnte Harawe mehrfach reüssieren, wurde er dafür doch etwa beim Festival Vienna Shorts und dem Deutschen Kurzfilmpreis ausgezeichnet. In "The Village Next to Paradise" erzählt er die Geschichte einer Familie in einem Dorf in Somalia, die sich mit unterschiedlichen Erwartungen ebenso auseinandersetzen muss wie der komplexen Welt, die sie umgibt.

Außer Konkurrenz: Hollywood und Dokus

Harawe ist damit Teil der begehrten "Sélection officielle", die Thierry Frémaux, der künstlerische Leiter des Festivals, am Donnerstag bekanntgab. Vor der Verkündung der Filme kam er auf den politischen Umbruch in Argentinien zu sprechen, der die dortige Filmszene stark treffe. Außerdem betonte er die Verbindungen von Cannes zu Hollywood. Heuer wird das Studio Universal sein 100. Jubiläum an der Croisette feiern.

In den außer Konkurrenz laufenden Special Screenings finden sich heuer die Hollywood-Schwergewichte "Furiosa: A Mad Max Saga" von Max Miller und "Horizon: An American Saga", ein Westernepos von und mit Kevin Costner. Aber mit "La Belle de Gaza" ist auch eine Dokumentation über eine Transperson in Gaza vertreten, die in Tel Aviv ihre neue Identität leben kann – dieser Film sei natürlich vor dem Krieg entstanden, betonte Frémaux. "Das Festival soll friedlich und fröhlich sein, und wir reden nur über Kino", fügte Frémaux hinzu.

Die politische Verantwortung tragen damit die Filme und ihre Macher. Etwa der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa, dessen Film "The Invasion" die Folgen der russischen Invasion in seine Heimat betrachtet. Oder Rithy Panhs "Interview mit Pol Pot" über den kambodschanischen Diktator. Einen humoristischen Blick auf Politik werfen Guy Maddin und Evan und Galen Johnson in "Rumours", der eine Sitzung des G7-Gipfels zeigt – mit Cate Blanchett als "eine Art Ursula von der Leyen", so Frémaux.

Cate Blanchett, hier in ihrer Funktion als Goodwill Ambassador für die United Nations (UNHCR) spielt in
Sie übt schon: Cate Blanchett, hier in ihrer Funktion als Goodwill Ambassador für die United Nations (UNHCR), spielt in "Rumours" eine "Art Ursula von der Leyen".
REUTERS/YVES HERMAN

Abwechslungsreicher Wettbewerb

Der Wettbewerb sei heuer besonders schwer zu programmieren gewesen, gab das Festival-Leitungsduo Iris Knobloch und Frémaux zu. Denn letztes Jahr sei dieser besonders gut angenommen worden und hätte mit den Kino- und Oscarerfolgen der Gewinnerfilme "Anatomie eines Falls" und "The Zone of Interest" besonders viel Interesse generiert.

Das diesjährige Programm verspricht aber nicht minder interessante Filme. Fünf der 19 Wettbewerbsfilme stammen von Regisseurinnen, etwa genauso viele kommen nicht aus der westlichen Kinohemisphäre. Besonders betonte Frémaux die Präsenz zweier geopolitisch umstrittener Akteure, die aber "große Kinonationen" seien: China und Indien. Für China ist Jia Zhangke sechs Jahre nach "Asche ist reines Weiß" mit "Caught by the Tides" wieder zurück in Cannes.

Die Regisseurin Payal Kapadia gehört zu einer jüngeren Generation indischer Regisseurinnen und ist mit "All We Imagine As Light" im Rennen um die Goldene Palme. Die Britin Andrea Arnold scheint mit "Bird" zurück an die Wurzeln des britischen Sozialdramas zu gehen, und die Französin Coralie Fargeat taucht in "The Substance" mit Demi Moore und Margaret Qualley ins Genrekino ein. Ein einziges Debüt findet sich im Wettbewerb: Agathe Riedingers "Diamant Brut", der in Ostfrankreich spielt und an das Kino der Dardenne-Brüder anschließt.

Margaret Qualley ist heuer in zwei Wettbewerbsfilmen zu sehen: In Yorgos Lanthimos
Margaret Qualley ist heuer in zwei Wettbewerbsfilmen zu sehen: In Yorgos Lanthimos "Kinds of Kindness" und in Coralie Fargeats "The Substance" neben Demi Moore.
APA/AFP/JULIE SEBADELHA

Lanthimos, Coppola, Cronenberg

Zu den heißerwarteten Filmen zählt sicher Yorgos Lanthimos' neues Emma-Stone-Vehikel, die schwarze Komödie "Kinds of Kindness", und Francis Ford Coppolas Herzensprojekt "Megalopolis" mit Adam Driver. Der Science-Fiction-Film, in dem es um die utopischen Baupläne eines größenwahnsinnigen Architekten geht, war kürzlich in den Schlagzeilen, da er in den USA keinen Verleih finden konnte. Er sei zu "avantgardistisch" wurden die großen Studios zitiert. Coppola arbeitet seit Anfang der 1980er-Jahre an dem Projekt und hat es teils selbst finanziert – durch den Verkauf eines seiner Weingüter.

Für Paul Schraders "Oh Canada" stehen Richard Gere und Uma Thurman gemeinsam vor der Kamera, und ein berühmter Kanadier ist auch mit im Ring: David Cronenberg mit "The Shrouds" mit Vincent Cassel und Diane Kruger.

Richard Gere ist seit langer Zeit praktizierender Buddhist. In Paul Schraders
Richard Gere ist seit langer Zeit praktizierender Buddhist. In Paul Schraders "Oh Canada" kommt er zurück auf die Leinwand.
AFP/MONEY SHARMA

Mexiko, Trump, Russland

In politisches Terrain begibt sich der Franzose Jacques Audiard mit dem Musical "Emilia Perez". Selena Gomez spielt in der in Mexikos Kartellen angesiedelten Geschichte die Hauptrolle. Und auch Donald Trump spielt im Cannes-Wettbewerb eine Rolle. In Ali Abbasis "The Apprentice" verkörpert der Berlinale-Preisträger Sebastian Stan den jungen Donald Trump, während dieser in den 1970er- und 1980er-Jahren mit dem Aufbau seines Immobilienimperiums beschäftigt ist. Auch Kirill Serebrennikov widmet sich einer politischen Figur: "Limonov: The Ballad of Eddie" folgt dem russischen Dichter Eduard Limonow und wirft ein kritisches Licht auf Russland unter Putin, so Frémaux.

Eröffnet werden die 77. Filmfestspiele Cannes von der französischen Komödie "Le Deuxième Acte" ("Der zweite Akt") von Quentin Dupieux, die außerhalb des Wettbewerbs laufen wird. In dem Road Trip mit absurdem Touch, wie der Film beschrieben wird, sind unter anderem Lea Seydoux, Vincent Lindon und Louis Garrel zu sehen.

Greta Gerwig ist heuer Jurypräsidentin in Cannes.
Greta Gerwig ist heuer Jurypräsidentin in Cannes.
Jordan Strauss/Invision/AP

Den Juryvorsitz des diesjährigen Festivals hat US-Regisseurin Greta Gerwig inne, die Knobloch bereits im Vorfeld pries: Gerwig stehe, wie das Festival, für die Liebe zum Kino, und sie umarme mit ihren Filmen alle Geschlechter und alle Publikumssegmente. Die Goldene Ehrenpalme für sein Lebenswerk erhält "Star Wars"-Erfinder George Lucas. Die 77. Filmfestspiele von Cannes finden von 14. bis 25. Mai statt. (APA, diva, 11.4.2024)