Blick auf Pasterzensee und Großglockner im Hintergrund
Die Pasterze am Fuße des Großglockners im Jahr 2023. Von der einst mächtigen Eiszunge ist kaum etwas übrig geblieben.
ÖAV Gletschermessdienst / Andreas Kellerer-Pirklbauer

"Hundsmiserabel": So fasste Gerhard Karl Lieb den Zustand der Gletscher in Österreich zusammen. Lieb ist einer der Leiter des Gletschermessdiensts des Österreichischen Alpenvereins, dessen Team seit 133 Jahren mit dem Maßband ins Hochgebirge ausrückt, um die Eisflächen zu vermessen. Der aus der Messperiode von August 2022 bis zum Oktober 2023 hervorgegangene Bericht, der am Freitag präsentiert wurde, spiegelt die Wärmerekorde des vergangenen Jahrs wider. Rekordhalter unter den Gletschern ist die Pasterze am Fuß des Großglockners: Mit einem Schwund von 203,5 Metern hat die Pasterze in keinem Jahr seit Messbeginn so viel an Länge verloren.

Geschätzte 14 Millionen Kubikmeter Eis gingen somit in einem Jahr verloren, rechnet Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geografie und Raumforschung an der Universität Graz vor. Das entspreche einem Kubus mit einer Kantenlänge von 241 Metern, in etwa vergleichbar mit der Höhe des Wiener Donauturms. Zwar zieht sich die Pasterze seit den 1850er-Jahren zurück, in den letzten Jahren hat sich die Schmelze aber immer stärker beschleunigt. Den letzten Vorstoß habe es vor rund 90 Jahren gegeben, seither stehen die Zeichen auf Rückzug. Insgesamt sind der Gletscherzunge seit dem Maximum in der kleinen Eiszeit um 1850 schon mehr als drei Kilometer abhandengekommen. Noch in diesem Jahrzehnt ist ein Abreißen der Zunge zu erwarten.

Gletscherschmelze schreitet voran: Timelapse Gepatschferner (Ötztaler Alpen) Juli 2020 bis Oktober 2023
(c) Martin Mergili (Uni Graz), Stefan Haselberger (Uni Wien/PHUSICOS)

Um 1,7 Grad zu warm

Im Mittel haben sich die 79 vermessenen Gletscher in zwölf Gebirgsgruppen im Beobachtungsjahr 2022/2023 um 23,9 Meter zurückgezogen, was einem geschätzten Volumen von rund 600 Millionen Kubikmetern oder fünf Prozent des gesamten Resteises entspricht. Die Spitzenreiter ist neben der Pasterze der Rettenbachferner in den Ötztaler Alpen in Tirol mit einem Rückgang von 127 Metern. Noch stärker war der österreichweite Gletscherschwund den Alpenvereinsmessungen zufolge nur in den Jahren 2021/22 mit 28,7 Metern und 2016/17 mit 25,2 Metern. Jedoch gab es bisher keinen einzigen Gletscher, der mehr als 100 Meter schrumpfte.

Die Messungen an drei Hochgebirgswetterstationen haben gezeigt, dass es im Beobachtungszeitraum um 1,7 Grad zu warm war gegenüber dem Durchschnitt von 1981 bis 2010, also jenseits der 1,5-Grad-Marke, zugleich sind um sechs Prozent weniger Niederschläge gefallen. "Wir haben gesehen, dass die Ausaperung im Vorjahr bei der Pasterze schon Anfang Juni anstatt erst im Juli begonnen hat und es bis weit in den Oktober Abschmelzungen gab, zu einer Zeit, wo der Gletscher schon längst Schneereserven aufbauen sollte", sagt Gerhard Karl Lieb. "Während des Sommers bräuchte es vier bis fünf Wetterstürze, wo es schneit, aber das ist schon längst Geschichte."

Verschwinden nicht mehr aufzuhalten

Ein Zurück gibt es nicht: "Die Gletscher Österreichs kann man nicht mehr retten", sagt Lieb. "Die Systeme sind zu träge, ein Verschwinden ist hierzulande nicht mehr aufzuhalten. Da geht nichts mehr." De facto werde es in Österreich "in 40 bis 45 Jahren bis auf ein paar kleine Reste eisfrei" sein, pflichtet Kellerer-Pirklbauer, Co-Leiter des Gletschermessdiensts, bei. Mit restriktiven Klimaschutzmaßnahmen könnte die Gletscherschmelze aber global gesehen noch begrenzt werden.

Grafik
Seit den 1980er-Jahren haben sich die beobachteten Gletscher praktisch nur mehr zurückgezogen. Die Grafik zeigt die mittlere Längenänderung oben und die Anzahl der vorstoßenden (hellblau), stationären (blau) und zurückschmelzenden (orange) Gletscher zwischen 1960 und 2022.
Alpenverein

"Der Druck durch das Klima auf die Alpen ist sehr hoch", sagt Nicole Slupetzky, Vizepräsidentin des Alpenvereins. "Obwohl wir wissen, dass die Gletscher verschwinden, werden neue Lifte gebaut, Gletschergebiete zusammengeschlossen." Nur mehr sieben Prozent der österreichischen Landschaft seien unberührt, und man habe Verantwortung für die folgenden Generationen, insbesondere die Gletscher und ihr Umfeld "ohne Wenn und Aber" zu schützen. Der Alpenverein will schon lange hochgelegene Flächen "radikal" unter Schutz stellen, betont Lieb, auch um die Biodiversität aufrechtzuerhalten.

Und nicht zuletzt müsse man versuchen, die Gletscher so lange wie möglich zu erhalten, damit auch noch die nächste Generation in den Genuss des ganz besonderen Gefühls in ihrer Nähe kommen kann, wie Slupecky ausführt: "Man riecht und spürt den Gletscher. Es hat etwas Klares, Erfrischendes, Erdendes. Und man erkennt, wie klein der Mensch und wie groß die Verantwortung ist, die er hat." (Karin Krichmayr, 5.4.2023)