Überforderung ist die erste Empfindung, mit der man konfrontiert wird. Bangkok ist laut, rasant, heiß, vulgär und voller Zauber, der sich oft erst nach dem zweiten Blick erschließt. Ist es an einem Tag möglich, einen guten Eindruck von einer Stadt zu erhalten, deren smogverhangener Horizont unendlich scheint? Schwierig.

Im Jahr 2023 strömten etwa 23 Millionen Touristen nach Bangkok, mehr als in jede andere Stadt. Man könnte gestresst herumirren und Sehenswürdigkeiten besuchen, die tausendfach abgelichtet werden. Oder man taucht in das Alltagsleben ein, schärft die Sinne und erkundet kulturelle Hintergründe. Das geht ganz gut, indem man sich auf das Essen fokussiert. Gerichte erzählen von der Geschichte und den Gewohnheiten der zwölf Millionen Menschen, die Bangkok zu einer multikulturellen Einheit zwischen goldenen Tempeln und präzisen Wolkenkratzern machen, in deren Schatten dampfende Garküchen den Hunger auf jede erdenkliche Weise zu stillen vermögen.

Die Agenda: 24 Stunden und sechs Gerichte in Bangkok

Vorneweg: Es ist überall gut, wo sich viele Menschen aufhalten und die Zutaten im rasanten Durchlauf in Woks und Töpfe gehievt werden. Fordern Sie sich auch einmal selbst heraus, vertrauen Sie auf Ihren Instinkt, aber gern auch auf folgende Tipps, die ich kürzlich aus Bangkok mitnehmen durfte.

7.15 Uhr: Congee

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Bangkok erwacht bei Jok Prince.
Christian Eidherr

Früh aufstehen lohnt sich. Noch ist es ruhig, die Luft erfrischend klar, und die aufgehende Sonne taucht die Stadt in ein sanftes Licht wie bei einem Instagram-Filter.

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Im Congee liegt die Kraft.
Christian Eidherr

Während Bangkok langsam erwacht, drängt sich die hungrige Arbeiterschaft um die offene Küche von Jok Prince, wo in riesigen Töpfen Congee dahinköchelt. Der Reisbrei mit der Konsistenz von Porridge stammt ursprünglich aus China, ist in ganz Ostasien beliebt und wird durch eine Vielzahl von Toppings ergänzt. Jok Prince serviert Congee mit Fleischbällchen, die an Salsiccia erinnern. Ingwer, Koriander sowie Frühlingszwiebeln sorgen für einen erfrischenden Kick. Gern bestellt man noch einen wachsweichen Eidotter, vermengt die Zutaten zu einer wohltuenden Gesamten und schöpft mit jedem Löffel Kraft für einen langen Tag in Bangkok.

11.33 Uhr: Suppe

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Gute Suppe und zeitloser Charme im Sai Nam Phueng Noodleshop.
Christian Eidherr

In Thailand leben etwa 14 Millionen Menschen chinesischer Abstammung – die weltweit größte Diaspora. Ihr Einfluss spiegelt sich in der Küche wider, exemplarisch dafür sind Nudelsuppen. Es gibt sie an jeder Ecke, zu jeder Tageszeit, in unzähligen Varianten. Kway Chap zum Beispiel: eine dichte Brühe aus Schweinefleisch, Sojasauce und Five-Spice, die durch knusprigen Schweinebauch, Innereien (optional, aber will man haben) und gerollte Reisnudeln zu einem harmonischen Zusammenspiel von Texturen wird. Wenn möglich, streckt man die Suppe mit einem Schuss Schweineblut und wird mit einem ungleich sämigen Fond belohnt. Sehr gute Kway Chap gibt es bei Jae Ju, nur wenige Schritte vom Chayo-Praya-Fluss entfernt. Neben der Iconsiam-Mall, aber trotzdem abseits der Massen, eröffnet sich zwischen Plastiksesseln und dampfenden Töpfen eine Schüssel voll geschmacklicher Tiefe.

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Kway Chap: knuspriger Schweinebauch, gerollte Nudeln, Innereien und ein Schuss Schweineblut.
Christian Eidherr

Tipp in Downtown/Sukhumvit: Sai Nam Phueng Noodleshop. Eine kleine Oase im hektischen Zentrum. Bekannt für hervorragende Hühnersuppe.

Sai Nam Phueng Noodleshop: Sukhumvit 20, Khlong Toei

14.42 Uhr: Pad Krapao

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Feuer frei für Pad Krapao.
Christian Eidherr

Thailand hat kein Nationalgericht. Zu unterschiedlich die Regionen, zu stumpfsinnig, die Vielfalt auf ein Gericht zu reduzieren. In den 1930er-Jahren hat eine autokratische Regierung Pad Thai etabliert und wollte damit die nationale Identität stärken. Heute sind die süß-sauren Nudeln eher bei Touristen beliebt.

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Pad Krapao: Nationalgericht? Einfach gutes Essen.
Christian Eidherr

Wenn es ein thailändisches Gericht gibt, auf das sich fast alle einigen können, dann ist es Pad Krapao. Dabei wird Faschiertes, heiliger Basilikum, sehr viel Chili, Knoblauch und Austern- sowie Sojasauce im flammenden Wok zu einer Geschmacksbombe entzündet. Kenner lassen sich dazu ein Spiegelei rausbraten. Ein Referenz-Pad-Krapao gibt es nahe der geschäftigen Sukhumvit Road bei Ung Jai Huad. Das Ecklokal mit viel Patina verströmt neben dem Duft verheißungsvoller Röstaromen einen Hauch vom alten Bangkok. Im Schatten von Wolkenkratzern schwenkt seit über 50 Jahren derselbe Koch lässig einhändig den feurigen Wok und brät ein Pad Krapao raus, das sich in die Erinnerung einbrennt.

16.24 Uhr: Mango Sticky Rice

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Seit 1932 wird bei K. Panich Mango Sticky Rice unters Volk gebracht.
Christian Eidherr

Bei K. Panich unweit des großen Palasts fand Mango Sticky Rice den Weg vom Hof unters Volk. Seit bald 100 Jahren werden Mangos auf Klebereis mit Kokosmilch gebettet und mit gerösteten Mungobohnen bestreut. Ein Gericht für Könige. Das Rezept teilte eine Köchin am Palast mit ihrer Familie, die daraufhin ein kleines Lokal eröffnete, welches heute im Guide Michelin ausgezeichnet ist. Das "Geheimnis": eine Prise Salz in der Kokosmilch. In Mango Sticky Rice findet zusammen, was gut ist und schon immer da war – frisches Obst und Klebereis, der seit mindestens vier Jahrtausenden entlang des Mekong kultiviert wird. Mango Sticky Rice als Dessert zu bezeichnen wäre eine Beleidigung. Zu komplex das harmonische Zusammenspiel von Geschmäckern und Konsistenzen, das von süß bis salzig, saftig bis knusprig alle Facetten abbildet und von einer animierenden Säure getragen wird.

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Mango Sticky Rice, ein Gericht für Könige.
Christian EIdherr

Wenn nach dem zweiten Teller die Sonne hinter den goldenen Dächern der Paläste und Tempel versinkt, kündigt sich eine Nacht in Bangkok mit ihrem verheißungsvollen Angebot an. Spoiler: Es wird scharf.

19.04 Uhr: Curry

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"All of the things I need for happiness: Low plastic stool, check. (...) Something delicious in a bowl, check." (Anthony Bourdain)
Christian Eidherr

Ein Khao Gaeng ist typisch für Bangkok und bezeichnet ein Buffet mit fertigen Gerichten für zwischendurch und unterwegs. Es heißt wörtlich Curry mit Reis, und der Name ist bei Jek Pui mitten in Chinatown Programm. Händler aus Indien brachten irgendwann die Idee und Gewürze für Curry nach Thailand. Manche Quellen geben das vierte Jahrhundert an, andere das 14. Kurzum, vor sehr langer Zeit. Die Thailänder haben die Rezepte adaptiert, mit Currypasten eine eigene Basis entwickelt und im Lauf der Geschichte um Chilis ergänzt. Wussten Sie, dass die Schoten ursprünglich aus Südamerika stammen und im 16. Jahrhundert durch portugiesische Händler nach Südostasien gelangten?

Genug Geschichte. An der Ausgabe von Jek Pui warten bunte Currys, die den ganzen Tag in monumentalen Töpfen schmurgeln. Grünes Curry wird mit zarten Hühnerflügeln und -haxen (mit Haut!), gestocktem Blut und einem eingelegten Soja-Ei in eine Schüssel mit Reis geschöpft. Thai-Currys sind oft sehr flüssig, fast wie eine Suppe. So dicht und sämig wie bei Jek Pui ist es sonst nirgends. Tische gibt es hier nicht – man schnappt sich einen Plastikhocker, platziert sich in eine düstere Seitengasse unter herabhängender Wäsche und beugt sich über eine Schüssel Curry, die von Indien bis Japan in unzähligen Varianten zubereitet wird und stets ein wärmendes Wohlgefühl hinterlässt.

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"Keep calm and curry on" ist die Devise bei Jek Pui.
Christian Eidherr

Tipp in Downtown Bangkok: Sanguan Sri, ein Oldschool Khao Gaeng zwischen modernen Bürotürmen. Das Curry ist schärfer und kommt mit deutlich mehr Gemüse. Von Thai-Melanzani, in deren golfballähnlicher Form sich fleischiger Geschmack konzentriert, will man nicht genug bekommen. Achtung: nur Mittags geöffnet.

Sanguan Sri: 59, 1 Witthayu Rd, Lumphini, Pathum Wan

22.57 Uhr: Papayasalat und Nam Tok Moo

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Spätnachts wird es lustig und verschwommen bei Baan E-sarn Muangyos.
Christian Eidherr

Das Beste kommt zum Schluss. Ein spätes Abendessen mit Gerichten aus der Isaan-Region. Ein säuerliches, scharfes Aroma charakterisiert den betörenden Geschmack der vielleicht beliebtesten Regionalküche Thailands. Seit jeher spielt Fermentation in der landwirtschaftlich geprägten Ebene zwischen Gebirgsketten und dem Mekong eine tragende Rolle, um Lebensmittel im schwülen Klima haltbar zu machen. Zutaten, die sich in jedem Rezept wiederfinden: vergorener Fisch, frische Kräuter, Limetten und Chili – sehr viel Chili. Wer erfassen will, was die thailändische Küche in ihrem Kern ausmacht und wie zwischen Säure, Schärfe und Umami eine harmonische Balance entsteht, findet die Antwort in Gerichten aus dem Isaan.

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Isaan-Einsermenü: Som Tam (Papayasalat) und Nam Tok Moo (Salat mit Schweinenacken und Kräutern).
Christian Eidherr

Isaan-Food ist überall in Bangkok zu finden und meistens sehr gut. In der Nacht am besten bei Baan E-sarn Muangyos. Das rustikale Lokal mitten in Downtown hat bis vier in der Früh geöffnet, ist stets voll und serviert alle Klassiker der Isaan-Küche. Natürlich bestellt man Papayasalat (Som Tam), der auf erfrischend, knackige Art die Sinne schärft und in seinem Dressing das Aroma der Isaan-Küche akzentuiert. Dazu gönnt man sich gern scharf marinierte, saftige Hendlkeulen vom Holzkohlegrill (Gai Yang) und kleschkaltes Bier, das in ein randvolles Glas mit Eiswürfeln geleert wird. Man sollte Thailand aber auf keinen Fall verlassen, ehe man den Geschmack von Nam Tok Moo erfahren durfte. Ein Salat aus gegrilltem Schweinenacken und erfrischenden Kräutern, der die Geschmackssinne in einer neuen Aromenwelt fesselt, von der man sich nicht lösen will. Warum Nam Tok Moo so gut ist und wie es zubereitet wird, beschreibt Tobias Müller in diesem Rezept.

Die Stimmung bei Baan E-sarn Muangyos ist ausgelassen, ein Teller folgt dem nächsten, der Platz wird eng, und auf Beistelltischen stapeln sich Thai-Whisky und -Bier. Man kommt mit den Tischnachbarn ins Gespräch, verkostet und lacht gemeinsam. Wenn man irgendwann in der Nacht beschwingt das Lokal verlässt, auf den belebten Straßen Bangkoks wandelt und vom einzigartigen Geruch aus Fischsauce und Abgasen nicht genug bekommt, hat einen Bangkok endgültig in den Bann gezogen.

Baan E-sarn Muangyos: Soi Sukhumvit 31, Khlong Toei Nuea, Watthana

Tipp untertags: Super Isaan-Küche gibt's bei Som Tam Jay So. Einer Blechhütte mit offenem Grill und Blick auf den vielleicht beeindruckendsten Wolkenkratzer Bangkoks (Maha Nakhon Tower).

Som Tam Jay So: Phiphat 2, Silom, Bang Rak, Bangkok 10500, Thailand

(Christian Eidherr, 7.4.2024)