Baizelin, Kemahe oder Qiadong Ri: Das sind nur drei der insgesamt 30 Orte, Flüsse und Berge, deren Namen China am vergangenen Wochenende festgelegt hat. Per Liste wurden die neuen – chinesischen – Namen festlegt. In der Tat sind unterschiedliche Bezeichnungen und Schreibweisen in den dünnbesiedelten Regionen des Himalaja, hoch oben im höchsten Gebirge der Welt, keine Seltenheit. Doch einen Haken hat die Sache doch: Die betroffenen Orte liegen nicht in China, und man spricht dort auch nicht chinesisch. Die Orte befinden sich im indischen Bundesstaat Arunachal Pradesh. Aber China beansprucht die Region für sich, als "Südtibet".

"Die Zuweisung erfundener Namen wird nichts an der Tatsache ändern, dass Arunachal Pradesh ein integraler und unveräußerlicher Teil Indiens ist, war und immer sein wird", ließ ein Sprecher des indischen Außenministeriums als Reaktion wissen. Sein Chef, Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, hatte tags zuvor bereits deutlich gemacht: "Wenn ich den Namen deines Hauses ändere, wird es dann mein Haus?"

Die Regionen in Arunachal Pradesh Richtung indisch-chinesische Grenze sind äußerst dünn besiedelt.
REUTERS/Frank Jack Daniel

Indien weist Chinas Ansprüche entschieden zurück. Über 3.000 Kilometer Grenze teilen sich die zwei asiatischen Riesen; an mehreren Stellen ist der Verlauf nicht endgültig geklärt. Vor allem seit dem Sommer 2020 kommt es immer wieder zu Scharmützeln an der Grenze.

Es ist nicht das erste Mal, dass China mit einer aggressiven Namenspolitik aufhorchen lässt. Bereits 2017 hat Peking die erste derartige Liste für Arunachal Prasdesh veröffentlicht. Den ganzen Bundesstaat nennt Peking außerdem "Zangnan", also "Südtibet". Auch der Begriff "Tibet" kommt mittlerweile übrigens kaum mehr in chinesischen Veröffentlichungen vor. So verwenden englischsprachige chinesische Medien seit Monaten fast nur noch das Mandarin-Wort "Xizang" – frei nach dem Motto: aus der Sprache, aus dem Sinn. "Kartografische Aggression" nennt es der indische China-Experte Sriparna Pathak gegenüber Radio Free Asia.

Indien verstärkt Präsenz an der Grenze

Zuletzt waren die chinesischen Namenslisten meist ein Zeichen des Unmuts. So folgte die erste auf den Besuch des Dalai Lamas in Arunachal Pradesh. Die neue Liste aus Peking kommt, nur wenige Wochen nachdem Indiens Regierungschef Narendra Modi eben dorthin gereist ist. Dort hat er den Sela-Tunnel eröffnet, auf 3.900 Metern gelegen, der die Anbindung in die sensible Grenzregion auch im Winter ermöglicht. Ganz in der Nähe kam es im Dezember 2022 zu einem Scharmützel zwischen chinesischen und indischen Soldaten.

Arunachal war nicht der einzige Grenzbundesstaat, den Modi jüngst besucht hat. Im Februar reiste er auch nach Kaschmir – erstmals, seitdem dort der Sonderstatus 2019 aufgehoben worden war. Während Muslime den Schritt als Beraubung ihrer Rechte sahen, feierte man die damit einhergehende Teilung im Osten des ehemaligen Jammu und Kaschmir, in Ladakh. Ladakh ist kulturell tibetisch geprägt, schon lange hatte man dort eine eigene Verwaltung gefordert.

Vernachlässigte Grenzregionen

Jetzt, fünf Jahre nach dem Schritt, werden kritische Stimmen aber immer lauter: Wenig habe man bisher profitiert. Vor 2019 wurden die Dinge in Jammu ausgemacht, nun in Delhi. Momentan ist Ladakh "Union Territory", untersteht also direkt Delhi. So finden schon den halben Winter lang die größten Proteste seit langem statt. Bei Eiseskälte gingen teils tausende Menschen auf die Straßen der Hauptstadt Leh, um für mehr Mitsprache der Lokalbevölkerung zu protestieren.

Bei diesem Sitzstreik fordern Ladakhis mehr Mitsprache.
REUTERS/Stringer

Zwar bekommt die Region als Ganzes seit 2020 viel mehr Aufmerksamkeit als früher von Delhi. Bei blutigen Zusammenstößen im Sommer 2020 starben bei Faustkämpfen mindestens 20 indische und vier chinesische Soldaten an der Grenze. Im August standen sich in den Bergen bereits Panzer gegenüber, nur wenige Hundert Meter trennten die zwei Atommächte vom Krieg.

Die Eskalation überraschte Indien, das seitdem aufrüstet. Hunderttausende Soldaten wurden nach Ladakh verlegt, schweres Militärgerät an die Grenze geflogen. Hunderte Kilometer Straßen werden in Windeseile gebaut und modernisiert; das Terrain bleibt aber herausfordernd: Im Winter ist Ladakh immer noch nicht auf Straßen erreichbar.

Die Lokalbevölkerung will aber bei dieser Entwicklung mehr Mitsprache. Aktuell befinden sich dutzende Frauen in Leh im Hungerstreik. Sie machen da weiter, wo der international bekannte Klimapionier Sonam Wangchuck nach 21 Tagen aufgehört hatte. Die Kernforderung ist die Umsetzung der Sixth Schedule, was eine Eigenheit der indischen Verfassung ist, um Indigenen und Minderheiten politische Mitsprache zu sichern. Vor allem in klimatisch sensiblen Himalaja-Regionen wie Ladakh ist das laut Wangchuk besonders wichtig.

"Diese Regierung nennt Indien gerne die 'Mutter der Demokratie'", schrieb Wangchuk jüngst auf X. "Aber wenn Indien den Menschen in Ladakh demokratische Rechte verweigert und es weiterhin unter der Kontrolle von Bürokraten aus Neu-Delhi hält, dann kann man es nur als Stiefmutter der Demokratie bezeichnen."

Am Sonntag will er einen Marsch Richtung chinesische Grenze starten, um für diese Mitsprache zu protestieren. Bereits seinem Hungerstreik haben sich streckenweise tausende Menschen angeschlossen. "Ich hoffe, dass uns ganz Indien unterstützen wird", sagte er zu "The Wire". Die Sache würde ganz Indien betreffen, das vom Wasser aus dem Himalaja abhängig sei. "Wenn die Menschen die Regierungen nicht dazu bringen können, ihre Versprechen einzuhalten, dann sind diese Wahlen sinnlos."

Mit der People for Himalaya Campaign hat man sich auch mit Aktivisten und Aktivistinnen aus anderen Himalaja-Regionen vernetzt, um auf lokale Klimaanliegen aufmerksam zu machen und Druck auf Delhi auszuüben. Unter ihnen sind auch Vertreter aus Arunachal Pradesh.

Auf Modi und seine Regierung wartet an der Grenze also gleich eine doppelte Herausforderung: Da gilt es einerseits, die Wünsche der Lokalbevölkerung ernst zu nehmen – um sich dann gemeinsam gegen die Begehren aus dem Norden zu stemmen. Dass China dabei nicht zimperlich ist, hat es in den vergangenen Jahren bewiesen. (Anna Sawerthal, 6.4.2024)