Vergangene Woche protestierten wieder AAP-Anhänger gegen die Verhaftung von Kejriwal.
AFP/ARUN SANKAR

Wenn im April die Parlamentswahlen in Indien starten, darf der amtierende Premierminister Narendra Modi mit viel Selbstbewusstsein in die Wahlen gehen. Kaum jemand zweifelt am erneuten Sieg seiner BJP-Partei. Arvind Kejriwal gilt als einer der wenigen aussichtsreichen politischen Gegner des mächtigen Regierungschefs – vielleicht noch nicht auf nationaler Ebene, aber mit seiner Aam-Aadmi-Partei (AAP) konnte er in den vergangenen Jahren immer häufiger punkten. Vor zehn Jahren in Delhi gegründet, übernahm sie in der Hauptstadt bald das Ruder. 2022 folgte der Punjab, und auch in Gujarat erzielte Kejriwals Partei im selben Jahr einige wichtige Erfolge. Just in Gujarat – das ist der Heimatbundesstaat Modis.

Im Februar noch gab Kejriwal an, nicht die Kongress-Partei, sondern seine AAP sei der wahre Gegner der oft übermächtig scheinenden BJP. Nun sitzt Kejriwal in Delhi in U-Haft, genauso wie viele seiner Parteikollegen. Ihm wird Bestechung im Zusammenhang mit lokalen Alkoholbestimmungen vorgeworfen; Anfang der Woche wurde seine U-Haft bis mindestens Mitte April verlängert. Das sind also nur wenige Tage, bevor die Wahlen losgehen. Aufgrund der Größe des Landes wird in sieben Phasen gewählt. Insgesamt sind fast eine Milliarde Menschen wahlberechtigt, Anfang Juni soll ein Ergebnis feststehen.

Beobachter sind sich aber einig, dass Modi von der hindunationalistischen BJP mit einer seltenen dritten Amtszeit rechnen darf. Nach den klaren Wahlsiegen von 2014 und 2019 hat die Partei nun die Zahl von 370 Parlamentssitzen ins Visier genommen. Auch wenn dieses Ziel vielleicht zu hoch gesteckt ist, nur wenige zweifeln daran, dass die BJP wieder eine absolute Mehrheit erreichen kann, vor allem mit ihrer NDA-Allianz.

Inhaftierte Oppositionelle

Dass Kejriwal Mitte März festgenommen wurde, dürfte der BJP trotzdem gelegen kommen. Seine AAP sieht die Verhaftung daher als klar politisch motiviert. "Es ist offensichtlich, dass die Modi-Regierung entschlossen ist, unserem Führer zu schaden", sagt etwa Punjab-Ministerpräsident Bhagwant Mann.

Kejriwal ist nicht der einzige hochrangige Oppositionsvertreter, der zuletzt ins Gefängnis musste. Vor rund einem Jahr wurde Rahul Gandhi, Spitzenkandidat der traditionellen Kongress-Partei, für mehrere Monate aus dem Verkehr gezogen, als er wegen Beleidigung verurteilt wurde. In einer grotesken Episode wurde ihm vorgeworfen, dass er alle Personen mit dem Namen "Modi" beleidigt habe. Im Sommer wurde er schließlich freigelassen.

Reuters rechnete Ende März vor, dass das "Enforcement Directorate", also jene Behörde, die nun auch Kejriwal verhaften ließ, seit Modis Amtsübernahme im Jahr 2014 knapp 150 Oppositionspolitiker unter die Lupe genommen hat. Von der BJP seien es vier gewesen. Die BJP-Regierung weist die Vorwürfe der politischen Motivation entschieden zurück. Die Behörden würden einfach nur ihren Job machen.

So oder so – es ist nicht zu übersehen, dass es der Opposition in vielen Regionen des Landes äußerst schwerfällt, der Regierungspartei das Wasser zu reichen. Die als "India" vereinte Allianz von 27 Oppositionsparteien ist zerstritten. Und die Kongress-Partei, die größte von ihnen, ist ein Schatten ihrer selbst. Wenig ist vom Glanz der alten Partei übrig, die über Jahrzehnte Indien unter Jawaharlal Nehru, Indira Gandhi, Sonja Gandhi und so weiter lenkte. Fast hilflos wirken die ausgedehnten "Yatras", die Rahul durch das Land unternimmt, also Reisen ganz im Stile der Helden alter indischer Epen.

Auch strukturell hinkt die Partei hinterher: Die veralteten Strukturen können mit den modernen der BJP nicht mithalten, die stark auf Basisarbeit und digitale Formate setzt. Beim Kongress werden talentierte Jungpolitiker erst gar nicht in die erste Reihe gelassen. So gab es in den vergangenen Jahren viele Überläufer zur BJP.

Gut geölte Maschinerie

Zum Unvermögen der Konkurrenz kommt aber eine gut geölte Maschinerie der BJP hinzu – mit ihrer Rechts-außen-Mutterorganisation RSS als starker Stütze –, die Kritiker zunehmend in die Enge treibt. Modi ist zweifelsohne ungeheuer beliebt, im weltweiten Vergleich hat er fulminante Zustimmungswerte. Grund dafür, meinen Kritiker, sind aber nicht nur inhaltliche Erfolge. So wurde die Presse im Land weitgehend gefügig gemacht und kritische Stimmen immer wieder von Ermittlungs- oder Steuerbehörden aufgesucht.

So wurden erst vor kurzem wieder Bankkonten der Kongress-Partei eingefroren, aufgrund angeblicher Unregelmäßigkeiten. Das sei "Steuerterrorismus", riefen Kongress-Vertreter, die das Geld gerade zu Wahlkampfzeiten dringend bräuchten.

So ruft die Opposition zur Wahl zwischen "Demokratie und Diktatur" auf. Es gehe um nichts Geringeres als die "Rettung der Verfassung". Vergleiche mit den "Emergency"-Jahren unter der Kongress-Politikerin Indira Gandhi in den 1970ern lassen manche Analysten nicht zu. Tarun Khaitan, Rechtsprofessor an der London School of Economics (LSE), analysierte in einem Vortrag, dass Gandhi damals zwar sämtliche autoritäre Register der indischen Verfassung gezogen habe, deren moralische Grundsätze aber nicht untergraben hätte. Das sei nun anders. Die Angriffe auf die Verfassung unter Modi seien "subtil, indirekt und schleichend", aber doch systematisch. Khaitan spricht von der "Tötung einer Verfassung durch tausend Schnitte".

So bleibt internationale Kritik oft verhalten. Immerhin gilt Indien als Schlüsselland in Asien für europäische und US-amerikanische Interessen. Die Reaktion auf Kejriwals Verhaftung war da vergleichsweise stark: Vertreter sowohl Deutschlands als auch der USA riefen öffentlich zu einem fairen Prozess auf. Die indische Regierung lud daraufhin Diplomaten beider Länder in Delhi vor.

In Indien selbst gehen die Proteste weiter. Erst am Wochenende protestierten wieder etliche Menschen in Delhi und im Punjab. Sunita Kejriwal, die Ehefrau des Inhaftierten, gab dabei an: "Dieser Faschismus wird in Indien nicht funktionieren. Wir werden kämpfen." (Anna Sawerthal, 3.4.2024)