Wien – Ob jemand, der "Wolfgang Fellner und 'Oe24' für guten Journalismus hält", die beste Eignung hat, eine Aufsichtsfunktion innezuhaben, das sei dahingestellt, sagt Lorenz Tripp, ohne den Namen Peter Westenthaler in den Mund zu nehmen. Tripp, Universitätsassistent am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Universität Graz, wünscht sich strengere Regelungen für ORF-Gremiumsmitglieder. Sie würden genauso wie Journalistinnen und Journalisten den ORF repräsentieren. Westenthaler sitzt auf einem Ticket der FPÖ im ORF-Stiftungsrat.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán
Heftige Kritik eines ORF-Mitarbeiters an Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und der Wunsch, dass ihn ein Herzinfarkt ereilen solle, sorgte sogar für diplomatische Verwerfungen.
AP/Khalil Hamra

Vergleich der Richtlinien

Tripp referierte am Dienstag auf Einladung des Presseclubs Concordia über das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und dem öffentlich-rechtlichen Objektivitätsgebot – Kapitel fünf der Reihe "Impulse für den ORF". Er verglich dafür die Social-Media-Richtlinien der öffentlich-rechtlichen Sender BBC, WDR und ORF.

IMPULSE FÜR DEN ORF (V): "Social-Media-Guidelines" mit Lorenz Tripp
Presseclub Concordia

Wie berichtet, erarbeitet derzeit eine Ethikkommission neue Regelungen, die für die ORF-Belegschaft in einen Ethikkodex gegossen werden, wo es etwa auch um die Reglementierung der Nebenbeschäftigungen geht. Weiteres Thema sind die Social-Media-Richtlinien, die für ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter bereits gelten und die adaptiert werden. Der Kodex soll in Kürze in Kraft treten und per Dienstanweisung kommuniziert werden.

Keine Zweifel an Objektivität

In den derzeit geltenden ORF-Regeln heißt es etwa, dass öffentliche Äußerungen in keinem Fall geeignet sein dürfen, "Zweifel an der Glaubwürdigkeit, Objektivität oder Unabhängigkeit des ORF oder seiner Mitarbeiter/innen aufkommen zu lassen". Die Regeln gelten für alle "journalistischen und programmgestaltenden" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ORF. Tripp sagt, dass dieser Punkt sehr vage formuliert sei.

Abneigung gegen Viktor Orbán

Als Beispiel eines klaren Verstoßes führt er ORF.at-Geschäftsführer Karl Pachner an, der 2022 in einem Facebook-Posting seine Abneigung gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán nur allzu offensichtlich zum Ausdruck gebracht hatte.

Wie berichtet, hatte Pachner Orbán wegen dessen Russland-Nähe kritisiert und geschrieben: "Ein Herzinfarkt wäre bei seiner Körperfülle und seinem Erregungspotenzial schon eine faire Sache!" Pachners Posting sei "nicht vereinbar" mit den Social-Media-Richtlinien, so Tripp. Es hatte auch Konsequenzen. Pachner wurde – auf eigenen Wunsch hin – beurlaubt.

Für problematisch hält Tripp auch einen Tweet des Ö1-Journalisten und -Medienredakteurs Stefan Kappacher. Er hatte geschrieben, dass es Ex-Kanzler Sebastian Kurz noch einmal in die Politik ziehen könnte: "Weil nirgends kann man so leicht blenden wie in der Politik. Und das ist das Einzige, was er kann." Diese Wertung sei in dieser Form "sachlich nicht begründet", sie stehe deswegen nicht im Einklang mit den Social-Media-Richtlinien des ORF, sagt Tripp.

Regeln für alle Identifikationsfiguren

Im Gegensatz etwa zum deutschen WDR umfassen die Richtlinien des ORF auch die privaten Accounts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Deutschland hätten sie überhaupt nur einen empfehlenden Charakter und stünden nicht im Range einer Dienstanweisung, differenziert Tripp. Die Regelungen des ORF sollten nicht nur für Angestellte gelten, sondern auch für jene, die etwa auf Werkvertragsbasis für den ORF arbeiten, empfiehlt Tripp. Ob das jetzt "Millionenshow"-Moderator Armin Assinger sei oder wer auch immer. Auch sie würden vom Publikum als Repräsentanten des ORF wahrgenommen. So ein Passus im Vertrag ließe sich arbeitsrechtlich argumentieren, ist er überzeugt.

Tripp plädiert aber grundsätzlich dafür, innerhalb der ORF-Belegschaft zu differenzieren: "Man muss einen unterschiedlichen Maßstab ansetzen, wer die Äußerung getätigt hat. War das der stellvertretende Kameramann im Landesstudio Burgenland oder war das der 'ZiB 2'-Anchorman?" Apropos: Tripp hält Armin Wolfs Credo, dass er in sozialen Medien nur das schreibt, was er auch auf Podiumsdiskussionen sagen würde, für den richtigen Zugang. Idealerweise solle so ein Regelwerk nicht von oben herab dekretiert werden, sondern im Austausch mit den Mitarbeitern entstehen.

BBC und Gary Lineker

Am umfangreichsten sind die Social-Media-Guidelines der BBC, erklärt Tripp. Garniert mit vielen konkreten Beispielen, würden sie auch zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterscheiden, die in der ersten Reihe der Berichterstattung stehen, und jenen, die im Hintergrund agieren und für die Meinungsbildung und Außenwahrnehmung nicht so essenziell seien. Die wichtigste Regel der BBC laute: "Man soll sich zu keinem politischen oder kontroversiellen Thema äußern", so Tripp.

In Erinnerung bleibt etwa die Aufregung und das Politikum um BBC-Fußballmoderator Gary Lineker. Er hatte die britische Flüchtlingspolitik kritisiert und schrieb, die Rhetorik von Innenministerin Suella Braverman sei der Sprache im Deutschland der 1930er-Jahre "nicht unähnlich". Damit löste er vor allem bei den Konservativen Empörung aus. Die BBC suspendierte Lineker, musste aber nach massiven Protesten zurückrudern.

Keine "kontroversiellen Themen"

Wie weit die Regeln der BBC reichen, demonstrierte Tripp anhand eines Tweets, den Radiomoderator Jeremy Vine verfasste. Er, ein glühender Verfechter des Radfahrens, sei als Befürworter einer verkehrsberuhigten Zone in einem Stadtteil Londons aufgetreten. Das hat ihm den Unmut einer Initiative zugezogen, die sich gegen die Verkehrsberuhigung aussprach. In Foren sei gegen Vine gewettert worden. Der habe daraufhin einige dieser Kommentare auf X gestellt. Die Beschwerdestelle der BBC kam zu dem Schluss, dass Vine damit teilweise gegen die Social-Media-Richtlinien des Hauses verstoßen habe, da er sich zu einem "kontroversiellen Thema" geäußert habe.

Grundsätzlich sei es richtig und wichtig, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an Debatten in sozialen Medien beteiligen, betont Tripp. Meist gelinge es gut, den Spagat zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Objektivitätsgebot zu meistern. Den ORF siedelt er vom Regelwerk her in der Mitte zwischen der BBC ("sehr streng und eingriffsintensiv") und dem WDR ("sehr liberal") an. (Oliver Mark, 19.3.2024)