Tiktok ist für seine vielfältigen Communitys bekannt, die stets mit der Endung "-tok" aufhören.
Lev Radin via www.imago-images.d

Mit Pauken und Trompeten die eigene Kündigung einreichen ist für viele ein ewig unerfüllter Traum. Völlig unmöglich ist es allerdings nicht, wie schon vor zwölf Jahren ein verärgerter Hotelangestellter mit einer befreundeten Blaskapelle bewiesen hat. In dem Youtube-Klassiker überreicht Joel DeFrancesco seinem ehemaligen Chef die Kündigung, während eine siebenköpfige Blaskapelle einen Polka in Gogol-Bordello-Manier spielt.

Diese Art, sich von seinen derzeitigen Arbeitsverhältnissen zu verabschieden, hat offenbar einige Mitglieder der Generation Z inspiriert, ihre eigenen Kündigungserlebnisse mit der Außenwelt zu teilen. In einer Reihe von Videos werden Abschiedsgespräche aufgenommen oder nacherzählt und dazu passende E-Mails verschickt. Besonders theatralisch entscheiden sich manche Tiktok-Nutzer dazu, den Moment, in dem sie ihr Kündigungsschreiben abschicken, filmisch zu dokumentieren. Diese Videos werden dann unter Hashtags wie "quittok" oder "quittingmyjob" geteilt und generieren Millionen von Aufrufen.

@brittanypeachhh
Das eigene Exit-Gespräch mitfilmen – ob das auch in Österreich "trenden" könnte?
https://www.tiktok.com/@brittanypeachhh

Toxische Unternehmenskultur auf Video

Die Tech-Branche hat schon einmal einer rosigeren Zukunft entgegen geblickt. Die Kündigungsrate im Silicon Valley nimmt Ausmaße wie zu Zeiten der Dotcom-Bubble an. So wurde auch die Stelle von Brittany Pietsch beim Internetsicherheitsanbieter Cloudflare wegrationalisiert. In mehreren Zoom Anrufen wurden ihre Kolleginnen und Kollegen innerhalb 15 Minuten dauernden Gesprächen gekündigt. Ihren eigenen Dialog mit dem Arbeitgeber nahm sie mit dem Smartphone auf und stellte es auf ihrem Tiktok-Account der Weltöffentlichkeit zu Verfügung. Der Stunt konnte zwar die Stelle Pietschs nicht retten, dennoch posteten unzählige Nutzer in der Kommentarspalte ihre eigenen Kündigungserlebnisse als Reaktion und zeigten Verständnis für das Verhalten der Gekündigten.

Sie ist damit bei weitem nicht die Einzige, die die letzten Momente ihres professionellen Verhältnisses für alle Mitmenschen dokumentiert. Eine Vielzahl von Personen geht ähnlich vor und stößt dabei auf ein vergleichbar großes Echo, wie schon die verschiedenen "Quit-Tok" Pioniere zuvor. So konnte etwa Brianna Stones Geschichte, wie sie ihre Lehrkarriere gegen das Dasein als Marathonläuferin und Reise-Influencerin eingetauscht hat, dreimal so viele Aufrufe wie ihr eigentlicher Content generieren.

Nicht immer steht aber das reine Aufspringen auf einen Trend im Vordergrund, wie die Videos von Melissa Groff zeigen. Die ehemalige Schuldirektorin nutzte den Zeitpunkt ihres Rücktritts aus, um über die Missstände im amerikanischen Schulsystem zu sprechen. Die Rolle in der Verwaltung sei besonders zehrend, da systemübergreifende Probleme nicht mit der Entscheidungsmacht von Schulrektoren zu lösen sind. Die beschädigte Moral von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern könne nicht von einer einzigen Person repariert werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Tiktok den derzeitigen Zustand am amerikanischen Arbeitsmarkt widerspiegelt. Vor gut zwei Monaten grassierte quasi die Umkehrung des aktuellen Trends auf der Kurzvideoplattform. In einem tränenreichen Tiktok-Video erzählte die New Yorkerin Lohanny Santos von ihrer erfolglosen Jobsuche. Ihr ausgedruckter Stapel an Lebensläufen hat ihr nicht, wie von ihren Babyboomer-Eltern versprochen, zu einer festen Anstellung verholfen. Als Reaktion auf ihr Posting veröffentlichten hunderte weitere Tiktok-Nutzer ihre eigenen Anekdoten vom Arbeitsmarkt.

In Österreich wird schriftlich gekündigt

In Österreich hatte lange Zeit die schriftliche Kündigung Tradition. Das war zumeist mit einem Brief gleichgesetzt, mittlerweile ist allerdings die Kündigung via E-Mail häufiger. Theoretisch könnte man sogar via Whatsapp gekündigt werden, da auch hier die Lesebestätigung eingesehen werden kann und damit der Beweis der Zustellung gegeben ist. Im August 2021 gab es in Waidhofen an der Thaya einen solchen Fall. Laut Arbeiterkammer muss hierzulande aber gar nicht schriftlich gekündigt werden, sondern es gibt dazu tatsächlich "keine Formvorschriften", wie man auf der Website der AK nachlesen kann. "Manchmal sehen jedoch zum Beispiel Kollektivverträge oder Arbeitsverträge vor, dass Kündigungen nur rechts­wirk­sam sind, wenn sie schriftlich erfolgen."

Gibt es ein Telefonat oder einen Video-Call, dann steht die Aufnahme eines nicht-öffentlich gesprochenen Wortes in Österreich unter Strafe. Der Wiener Rechtsanwalt Dr. Johannes Öhlböck beantwortete eine Anfrage des STANDARD über die rechtliche Situation wie folgt:" Das Mitfilmen von Kündigungen und nachfolgende Onlinestellen auf Social Media könnte strafrechtlich betrachtet den Missbrauch von Tonaufnahme- oder Abhörgeräten nach § 120 StGB darstellen." Wer also ein Aufnahmegerät benützt um unbefugt nicht öffentliche Äußerungen zu speichern müsse mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe mit bis zu 720 Tagessätzen rechnen, so der Anwalt.

Auch von einer Veröffentlichung sollte man absehen, da diverse Compliance-Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber auf diese Art gebrochen werden könnten und Persönlichkeitsrecht verletzt werden könnte. "In diesem Fall drohen Klagen auf Unterlassung, Beseitigung, Schadenersatz, Urteilsveröffentlichung und Kostenersatz", so Dr. Öhlböck. Weiters könne der "Verletzte" Ansprüche im Sicherungsverfahren rasch mit einer einstweiligen Verfügung verfolgen. In den USA, wo der Trend am meisten verbreitet war, gibt es solche Schadenersatzforderungen offenbar nicht, sonst hätte sich der Trend wohl nicht so lange gehalten.

Dennoch stellt sich die Frage hinter solchen Phänomenen, die schnell tausende Anhänger und Millionen Views finden. Während zu Facebook- oder My-Space-Zeiten das Schreiben einer einfachen Statusmeldung schon einen Einblick in das Leben des Verfasser ermöglicht hat, reichen solche Einzeiler in der heutigen Zeit nicht mehr aus. Heute werden episodenhafte Videotagebücher gepostet und offene Fragen mit einer weiteren Videofolge beantwortet. So kann man die Erlebnisse aus dem echten Leben wirklich mit allen teilen und die eigene Privatsphäre vollständig eliminieren. Das kann aber auch nach hinten losgehen, weshalb sich immer wieder im Zusammenhang mit dieser App die Frage stellt: "Muss man wirklich alles auf Tiktok stellen?" (gld, 19.3.2024)