Wenn Einzelne ihre Macht ausnützen, ist die Vertrauensstelle Vera gefragt. Ist sie den hohen Anforderungen gewachsen?
Wenn Einzelne ihre Macht ausnützen, ist die Vertrauensstelle Vera gefragt.
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Beleidigungen, Demütigungen, Gewalt, sexuelle Übergriffe – die Welt hinter Kameras und Kulissen kann für viele Theater- und Filmschaffende ein Albtraum sein, so skizziert es der Norddeutsche Rundfunk (NDR) im Dokumentarfilm Gegen das Schweigen, der jüngst Betroffenen eine Bühne gab.

Wenn es denn abseits von MeToo und zahllosen in den vergangenen Jahren publik gewordenen Fällen noch eines weiteren Belegs für die Notwendigkeit von Anlaufstellen für Opfer von Machtmissbrauch in der Branche bedurft hätte, so ruft dieser Film sie jedenfalls neuerlich in Erinnerung. Nicht zuletzt weil der NDR auch Vorfälle rund um prominente österreichische Produktionen thematisiert.

Etwa solche von Paulus Manker, dem zahlreiche verbale Entgleisungen bis hin zu tätlichen Angriffen vorgeworfen werden. Er selbst hatte dem NDR ein Interview verweigert, gab jedoch als Studiogast seine Ansichten im ORF-Kulturmontag zum Besten.

Ehrenamtlich tätig

Just am selben Tag berichtete die Zeit im Bild über Kritik an jener Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst und Kultur, die gemeinsam mit jener für Sport unter der Dachmarke Vera im Herbst 2022 an den Start ging: finanziert über eine Förderung des BMKÖS und zur Wahrung der Unabhängigkeit von einem Verein getragen, dessen Mitglieder sich aus 13 Organisationen aus dem Bereich der Interessenvertretungen von Künstlerinnen und Kulturschaffenden rekrutieren.

Die Haftung, die Leitung und die Vertretung des Vereins obliegen einem fünfköpfigen Vorstand, der ehrenamtlich tätig ist.

An der operativen Front agiert ein vergleichsweise kleines Team, bestehend aus Geschäftsführung, Büroorganisation und Fallbearbeitung. Letztere wurde sukzessive aufgestockt, ausgehend von 20 Wochenstunden auf derzeit zwei Mitarbeiterinnen zu je 30 Stunden.

Hoher Bedarf

Wie groß der Beratungsbedarf ist, führte eine erste Bilanz im Herbst vor Augen: Innerhalb von zwölf Monaten hatten sich 90 Personen an die Vertrauensstelle gewendet, in knapp 40 Prozent der Fälle ging es um strukturelle Gewalt und zu gut 35 Prozent um sexualisierte Gewalt.

Betroffen davon sind alle Kunst- und Kultursparten, angeführt vom Bereich Theater (24 Prozent), gefolgt von Musik (19 Prozent) sowie bildender Kunst (acht Prozent) und Museen (vier Prozent). Seit November kamen 35 weitere Fälle hinzu. Die NDR-Doku wird den aktuellen Beratungsbedarf neuerlich erhöhen, wie man aus Erfahrung weiß.

Insofern kommt die Kritik an Vera ungelegen, vielleicht aber auch zeitgerecht. Man wisse nicht, mit wem man es zu tun habe, wie man kooperieren könne und was konkret angeboten werde, brachte etwa Opferanwältin Maria Windhager ihre Erfahrungen mit Vera im ZiB-Beitrag vergangenen Montag auf den Punkt.

Anlaufschwierigkeiten

Tatsächlich dürfte zwischen dem ursprünglich kommunizierten Leistungsportfolio und der Realität eine Lücke klaffen. Denn neben Beratungstätigkeit waren auch Workshops sowie bewusstseinsbildende und strukturelle Maßnahmen zur Beseitigung von Missständen angekündigt worden. Der für heuer avisierte Einstieg in den Bereich Prävention dürfte sich ebenso verzögern. Das Konzept befände sich gerade in Ausarbeitung, wie vom Vorstand zu erfahren war.

Anders als beim Sport dürfte Vera Kultur mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen haben. Zu leisten, was man zum Start so ambitioniert verkündete, war anfangs offenbar gar nicht möglich. Dem Vorstand zufolge sind sehr viel mehr Anfragen von Betroffenen gekommen, als alle erwartet hatten.

Der Fokus lag deshalb auf psychosozialer Beratung, parallel wurde die Falldokumentation ausgebaut und musste erst ein Beratungsleitfaden finalisiert werden. Den Finanzierungsbedarf deckt das BMKÖS: 2022 betrug das Jahresbudget 200.000 Euro, zusätzlich gab es zum Start einmalig weitere 135.000 Euro; 2023 wurde auf 250.000 Euro erhöht und für 2024 jüngst 350.000 Euro in Aussicht gestellt.

Hohe Fluktuation

Ein weiterer Knackpunkt scheint die personelle Fluktuation zu sein, besonders jene in der Geschäftsführung. Marion Guerrero war nach nicht einmal drei Monaten im Amt im Jänner 2023 vom Vorstand gekündigt worden. Interimistisch übernahm Markus Rieser, zuvor im Joanneum Leiter der Vermittlungsabteilung. Im Oktober kam mit Clara Gallistl eine Fachfrau und eine der ursprünglichen Initiatorinnen von Vera. Sie wurde im Jänner von ihrer Kündigung mit Ende März 2024 in Kenntnis gesetzt.

Offizielle Begründung: eine Reorganisation. Auf Anfrage will sich der Vorstand dazu nicht äußern. Im BMKÖS scheint man allerdings alarmiert: Anfang Februar wurde die Erarbeitung eines Maßnahmenpakets beauftragt, mit dem die Stelle organisatorisch stabilisiert werden soll.

Unklar ist, ob und wann eine operative Leitung ausgeschrieben wird. Mit April übernimmt vorerst der Vorstand diese Aufgabe, ehrenamtlich neben dem "Brotberuf", aber verantwortungsvoll, wie es heißt. (Olga Kronsteiner, 11.3.2024)