Jugendlicher mit Smartphone
"Wenn der komplette Rückzug erfolgt, wäre es gut, wenn ich mir Hilfe hole", sagt Paul Plener, Klinikvorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien.
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Das Aufwachsen in einer digitalen Welt ist für Kinder und Jugendliche eine Herausforderung. Der Druck, der jungen Menschen damit schon sehr früh auferlegt wird, ist enorm. Gerade Mädchen sind aufgrund des von ihnen erwarteten Rollenbildes noch stärker beeinträchtigt, sagte Paul Plener, Klinikvorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien. Das persönliche Wohlbefinden hängt hier mit dem Konsum sozialer Medien zusammen.

Doch auf dem Gebiet gäbe es noch viele Hypothesen, betonte Plener, Beweise gäbe es für einige Zusammenhänge noch nicht. "Wir beobachten oft eine Korrelation, aber können keine Aussage zur Kausalität treffen", so der Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP). Das bedeutet, dass noch kein Ursache-Wirkungs-Prinzip bewiesen ist, lediglich einen statistischen Zusammenhang.

Viele Krisen

Allerdings zeigte sich weltweit, dass seit der Pandemie und anderen Multikrisen wie Teuerung, Krieg und der Klima-Krise Kinder und Jugendliche stärker belastet waren, so Plener. Gerade bei sich überlappenden Krisen werden die Jüngsten in einer besonders verletzlichen Lebensphase getroffen. Dabei waren laut dem Experten eher die Mädchen gefährdet. Plener mutmaßt, weil diese in Krisen mehr Aufgaben übernehmen mussten, von den sozialen Einschränkungen stärker betroffen waren oder auch, dass bei Störungsbildern, bei denen es Zuwächse gab, bereits vor der Pandemie mehr Mädchen betroffen waren.

In riesigen Kohortenstudien habe sich zumindest gezeigt, dass jene, die sich viel in sozialen Medien bewegen, häufiger eine schlechtere Stimmung aufweisen. Wird der Konsum eingeschränkt, verbessert sich auch die Zufriedenheit. Und gerade Mädchen bewegen sich mehr in sozialen Netzwerken als Burschen, meinte Plener.

213 Minuten pro Tag am Handy

Smartphone-Nutzung, soziale Netzwerkseiten und Streaming-Dienste haben vermutlich negative Effekte auf die Lebenszufriedenheit, zeigte sich auch bei einer im Jänner präsentierten Umfrage unter fast 6.700 österreichischen Schülerinnen und Schülern. Die Effekte, die die Studienleiter - neben Plener auch Kommunikationswissenschafter Tobias Dienlin und Journalist Golli Marboe - herausfanden, sind zwar als eher klein einzuordnen, aber nicht als trivial.

Das Smartphone hat deshalb für die jetzige Generation eine wesentliche Bedeutung bekommen, was die Generationen, die damit nicht aufgewachsen sind, gar nicht kennen würden, sagte Plener. 213 Minuten verbringen Kinder und Jugendliche täglich am Handy, wie die Schüler-Umfrage ergab. "Wenn ich nicht sofort respondiere, bin ich ganz schnell draußen", erläuterte der Mediziner die Schwierigkeit im ständigen Kontaktseins durch das Smartphone und benennt das Phänomen "Fear of missing out" - die Angst, etwas zu verpassen.

FOMO - so die Abkürzung - wird eine Reihe von negativen psychischen Symptomen zugeschrieben und ist durch das Bedürfnis gekennzeichnet, ständig mit dem in Verbindung zu bleiben, was in relevant erscheinenden Bereichen geschieht. Dabei werden zwanghaft empfangene Nachrichten und der Status in sozialen Netzwerken überprüft. FOMO wird mittlerweile mit einer Zunahme von Depressionen, Angstzuständen und einer verringerten Lebensqualität assoziiert.

37 Prozent sahen Suizidaufrufe

Durch das hohe Aufkommen manipulierter oder inszenierter Beiträge auf diesen Plattformen werden nicht zu erfüllende Erwartungen gefördert. Die Folge: Die eigenen Entscheidungen werden angezweifelt und Gefühle wie Angst, Einsamkeit und Schwächen hervorgerufen. Daraus resultiert, dass Userinnen und User die Lösungen mehr in Social Media suchen als bei ihren Freundesgruppen. "Wenn der komplette Rückzug erfolgt, wäre es gut, wenn ich mir Hilfe hole", meinte der Mediziner.

Darum sieht Plener auch die Verantwortung bei den Unternehmen, die Plattformen wie Instagram betreiben. Denn Algorithmen würden Themen, die die Userinnen und User ansprechen, ständig wiederholen, um "die Leute möglichst lange im Medium zu halten". Da geht es nicht nur um Schönheitsideale, Körperbewusstsein, Fitness oder Ernährung, die dann immer wieder auftauchen und besonders Mädchen ansprechen, sondern auch um Bereiche wie Selbstverletzung und Suizid. Bei der Schüler-Umfrage, die im Jänner präsentiert wurde, gaben 37 Prozent an, bereits online Suizidaufrufe gesehen zu haben. 59 Prozent entdeckten im Netz bereits Suizidberichte und 21 Prozent sogar Suizidvideos.

Plener rät daher Eltern, dass sie nicht nur das eigene Konsumverhalten am Smartphone hinterfragen, sondern sich auch für den Content der Sprösslinge interessieren. Zum Beispiel gibt es Apps, die den Konsum für Kinder und Jugendliche am Handy reduzieren können. "Dann stellt sich die Frage, ob es gelingt, den Konsum einzuschränken oder ob ich schon die Kontrolle über den Konsum verloren habe. Dann würde es dafür stehen, mir therapeutische Hilfe zu holen", rät Plener. (APA, 3.3.2024)