"Schreitag" auf dem Wiener Minoritenplatz: Angesichts der vielen Femizide haben am Freitag Demonstrantinnen vor dem Innenministerium ihre Wut lautstark rausgelassen.

Einfach mal schreien. Das war das Ziel des vom österreichischen Frauenring initiierten "Schreitags" am Freitag, um lautstark gegen die vielen Femizide in Österreich zu protestieren. Denn es waren schockierende Fälle von tödlicher Gewalt gegen Frauen, die Österreich binnen kurzer Zeit erschütterten. Vor gut einer Woche, Freitagmittag, kommt die erste Meldung: In Wien-Erdberg werden eine 51-jährige Frau und ihre 13-jährige Tochter tot aufgefunden. Eine Angehörige hatte sich Sorgen um die Mutter gemacht und die Polizei verständigt. Beamte öffnen die Wohnung in der Erdbergstraße und finden die beiden leblos vor. Sie wurden erwürgt.

Wenige Stunden später die nächste Nachricht: In Wien-Brigittenau werden drei Frauen mit Stichverletzungen tot aufgefunden. Die Berufsrettung Wien wird zum Tatort, einem Bordell, gerufen, kann für die Opfer aber nichts mehr tun.

Gedenkkundgebung gegen Femizide einen Tag nach der Tötung von drei Sexarbeiterinnen in Wien-Brigittenau.
Gedenkkundgebung gegen Femizide einen Tag nach der Tötung von drei Sexarbeiterinnen in Wien-Brigittenau.
APA/MAX SLOVENCIK

Nur drei Tage später die nächste Meldung: Eine 84-Jährige wird in einem Wohnhaus im niederösterreichischen Eschenau erschossen. Tatverdächtig ist ihr Partner, der versucht, Suizid zu begehen. Wenige Tage später stirbt der 93-Jährige. Auch jener Mann, der seine Frau und sein Kind in Wien getötet haben soll, wird tot in Slowenien aufgefunden.

Neue Eskalation

Am Donnerstag wurde dann noch publik, dass eine erst Zwölfjährige in Wien von mehreren Teenagern über Monate sexuell missbraucht worden sein soll. Das Mädchen lebt. Der Fall schließt eine Woche unfassbarer Gewalt gegen Frauen ab.

"Die Gewaltspirale zu durchbrechen ist vor allem Männersache", schreibt Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) kurz nach den fünf Femiziden am Freitag. Es sei eine "neue schreckliche Eskalation der Gewalt an Frauen in Österreich". Neben Männern nimmt Rauch auch Politiker und Politikerinnen in die Pflicht. Sie sollten in ihrer gesamten Arbeit die Situation von Frauen in den Fokus rücken und "damit zum Gewaltschutz beitragen". Zutiefst bestürzt zeigt sich Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP), gibt aber zu bedenken, dass "nicht jeder einzelne Fall von Gewalt" verhindert werden könne. Österreich verfüge mittlerweile über ein "gut ausgebautes Gewaltschutzsystem".

Doch die Zahl der Femizide bleibt in Österreich konstant hoch, was vor allem in Zeiten verdichteter tödlicher Gewalt gegen Frauen die Frage aufwirft: Warum greifen bestehende Maßnahmen nicht? Zeugt das davon, dass es womöglich zusätzliche und gezieltere Maßnahmen braucht? Denn im Laufe der vergangenen Tage wurde besonders deutlich, dass sich die tödliche Gewalt sehr unterscheidet – was etwa ihre Form sowie Alter, Herkunft oder soziale Schicht der Opfer und Täter betrifft. Fachleute predigen schon seit Jahren und Jahrzehnten, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem ist, das sich in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienverhältnissen und Berufsgruppen findet. Die einzig eindeutige Konstante: Männer töten Frauen. Und diese stehen in den meisten Fällen in einem Naheverhältnis zu den Opfern.

Gefahr im privaten Raum

Laut einer Studie des Instituts für Konfliktforschung, in der Femizide in Österreich zwischen 2016 und 2020 untersucht wurden, waren die (Ex-)Partner oder Angehörige in 93 Prozent der Fälle die Täter. "Das gesellschaftliche Narrativ geht noch immer von fremden Tätern auf der Straße aus, vor denen sich Frauen und Mädchen schützen müssten", kritisiert Nicole Krejci, Leiterin des Gewaltschutzzentrums in Wien. Die eigentliche Gefahr liege im privaten Raum – besonders in diesem Setting sei es aber schwer, sich Hilfe zu holen.

"Den Täter gut zu kennen bedeutet auch, dass es keine Heute-auf-morgen-Situation ist", sagt Krejci. "Es ist nicht so, dass der Partner bis zum Tag X sehr liebevoll war, und am nächsten Tag gibt es plötzlich eine Gewalteskalation." Es handle sich vielmehr um eine Dynamik, die sich steigere. Nach einer Eskalation folgen Entschuldigungen und Wiedergutmachungen – bis sich das Ganze wiederholt. Dazwischen gebe es Phasen der Reue, des Liebevollseins, der Bekundung, dass das nicht mehr passieren werde. "Wenn das eine Person ist, die wir lieben, dann wollen wir auch daran glauben."

Falscher Fokus

Männer könnten das Problem freilich am effizientesten bekämpfen: indem sie nicht mehr gewalttätig sind. Helfen soll dabei eine verpflichtende Gewaltpräventionsberatung im Ausmaß von sechs Stunden. Seit Herbst 2021 müssen Personen, gegen die ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wird, diese Maßnahme absolvieren. In Wien waren es bis dato 9.000 Personen, zu 90 Prozent sind es Männer. Mittlerweile können auch Richter die Beratung anordnen.

Es kommen Männer, die zu einem sehr großen Teil noch nie eine Beratung irgendeiner Art in Anspruch genommen haben. "Keine Psychotherapie, keine Paar- oder Männerberatung. Für sie ist Gewalt eine Bewältigungsstrategie. Dass es andere gibt, haben sie nie gelernt", sagt Thomas Marecek vom Verein Neustart, der in fünf Bundesländern die Beratung durchführt. Der Grund dafür liege wahrscheinlich in falsch verstandenem Stolz.

Die Zahlen zeigen, wie groß das Problem der Männergewalt ist. So wurden österreichweit 2023 etwas mehr als 15.000 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen. Seit 2020 gibt es eine konstante Steigerung. Angewendet wird die Maßnahme von der Polizei, wenn "gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit" droht.

Schwierige Einordnung

Krejci betont, dass das Problem schon vorher beginne. "Wenn Frauen zu uns kommen, fragen sie sich oft, ob das, was ihnen widerfahren ist, überhaupt schlimm genug ist, ob das schon Gewalt war. Für viele beginnt die erst beim körperlichen Übergriff – eigentlich beginnt sie aber schon viel früher."

Auf der denkmalgeschützten Rotunde am Rennweg in Innsbruck wird auf eine Wand bzw. ein Land der Femizide aufmerksam gemacht.
Gerhard Riha

Für Aufruhr und Maßnahmen sorgt meistens erst die tödliche Gewalt. So fand am Donnerstag ein Arbeitstreffen zwischen den zuständigen Ministerinnen und Experten aus Sicherheit, Justiz und Gewaltschutz statt. Beschlossen wurden zum Teil schon lange, unter anderem vom Rechnungshof, geforderte Schritte. Etwa dass es eine noch bessere Koordinierung und Vernetzung geben soll.

Aber vor allem bei ÖVP-Ministerinnen und -Ministern schwingt oft mit, es handle sich um ein importiertes Problem, dem mit konsequenten Abschiebungen beizukommen wäre. Auch am Donnerstag wurde die Causa um den verdächtigen Asylwerber hervorgehoben.

Tatsächlich sind ausländische Staatsbürger auch in der Femizidstudie des Instituts für Konfliktforschung als Täter überrepräsentiert. Obwohl sie im untersuchten Zeitraum nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung stellten, sind knapp 30 Prozent der Täter Ausländer. Ein isolierter Blick auf Staatsbürgerschaft oder Herkunft hilft beim Kampf gegen Gewalt an Frauen allerdings nicht. Vielmehr müsse man sich laut Krejci ansehen, wie die Menschen sozialisiert wurden: "Welches Bild herrscht davon vor, wie man mit Frauen oder anderen Personen, die man für unterlegen hält, umgehen soll?" In einigen Herkunftsländern gebe es sehr starke patriarchale Strukturen – für Männer wie für Frauen. "Das aber wiederum sagt gar nichts darüber aus, dass wir diese Strukturen in Österreich nicht haben", sagt Krejci.

Täter-Opfer-Umkehr

Und warum schämen sich immer noch so viele für die Gewalt, die ihnen angetan wird? Das liegt auch daran, dass Täter Opfern suggerieren: Wenn du anders wärst, müsste ich nicht zur Gewalt greifen. So entsteht beim Opfer der Eindruck, es sei selbst schuld. Betroffene denken, sie hätten keine Unterstützung verdient, sagt Krejci. "Da sind wirkmächtige Strategien wie eine Täter-Opfer-Umkehr am Werk, deshalb ist es wichtig, immer wieder zu sagen: Es gibt nie eine Entschuldigung für Gewalt. Betroffene sind niemals schuld." (Beate Hausbichler, Lara Hagen, Noura Maan, 2.3.2024)