Mehrere Bilder eines Weißen Hais mit den typischen Flossen und einem Orca dahinter, von der Wasseroberfläche aus gesehen.
Eine Reihe von Bildern zeigt den Angriff von Schwertwal "Starboard" auf den Weißen Hai.
Christiaan Stopforth, Drone Fanatics SA

Der Weiße Hai gilt spätestens seit dem legendären Film von Steven Spielberg als besonders gefährlicher Meeresräuber. Doch die archaischen Knorpelfische sind als Art selbst gefährdet und genießen daher besonderen Schutz.

Vor der Küste von Mossel Bay in Südafrika bekommen es Weiße Haie immer wieder mit einem Gegner zu tun, der auf solche menschlichen Vereinbarungen keine Rücksicht nimmt. Orcas, auch Schwertwale genannt, sind nicht nur entwicklungsgeschichtlich deutlich jünger als Haie, sie gelten auch als deutlich intelligenter und anpassungsfähiger.

Diese Intelligenz zeigt sich in ihrem Jagdverhalten. Schwertwale jagen im Rudel und können ihre Beute umzingeln und koordiniert angreifen. Gemeinsam schrecken sie auch vor der Jagd auf Seelöwen, Robben und Haie nicht zurück. Letzteres war bereits früher beobachtet worden. Doch nun berichtet dieselbe Forschungsgruppe, die dieses Verhalten 2022 dokumentierte, in einer neue Studie im Fachjournal "African Journal of Marine Science" von einem besonders ungewöhnlichen Fall.

Wal "Steuerbord"

"Die Orcas vor Südafrika zeigen eine starke Vorliebe für die fettreichen Lebern von Weißen Haien", sagt Studienautorin Alison Towner von der Rhodes-Universität in Südafrika. Es handle sich dabei um ein spezialisiertes Fressverhalten. Towner untersucht Weiße Haie seit 17 Jahren, doch einen Fall wie diesen hatte sie noch nie gesehen.

Ein Orca, der unter Forschenden wegen einer verletzten Flosse den Namen "Starbord", zu Deutsch "Steuerbord", trägt, wurde vom Land und von einem Touristenboot aus dabei beobachtet, wie er einen jungen Weißen Hai mit etwa 2,5 Meter Länge angriff. Kurz darauf schwamm er mit dessen Leber im Maul davon. Der Angriff hatte insgesamt nur zwei Minuten gedauert. Das Besondere daran: Der Orca hatte allein agiert.

"Diese Sichtung ergab Hinweise auf die Einzeljagd mindestens eines Schwertwals, was das konventionelle, in der Region bekannte kooperative Jagdverhalten infrage stellt", sagt Towner. Zudem scheint es auch ein zweites Opfer gegeben zu haben. Ein weiterer Kadaver eines etwa 3,5 Meter langen Weißen Hais wurde kurz darauf entdeckt.

"Der erstaunliche Angriff vor der Küste von Mossel Bay, Südafrika, stellt ein noch nie dagewesenes Verhalten dar, das die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Schwertwals unterstreicht", betont Towner. Es zeige, wie anpassungsfähig diese Raubsäugetiere sind.

Das deute auf ein Umlernen der Schwertwale hin. "Die Anwesenheit dieser Hai-jagenden Orcas ist möglicherweise mit weitreichenderen Veränderungen des Ökosystems verbunden. Die rasanten Entwicklungen machen es für die Wissenschaft schwierig, Schritt zu halten", erklärt Towner.

Ein im Sand auf der Seite liegender Weißer Hai
Der Kadaver eines Weißen Hais, der einem Orca-Angriff zum Opfer fiel.
Christiaan Stopforth, Drone Fanatics SA

Neue Herausforderung für Schutz der Haie

Die Jagd auf Haie, eigentlich ein natürlicher Prozess, könnte so zunehmend zum Problem für den Artenschutz werden. "Die Studie wirft kritische Fragen zu den Auswirkungen der Schwertwaljagd auf die Haipopulationen in Südafrika auf", sagt Towner. Die Verdrängung verschiedener Hai-Arten durch die Anwesenheit von Schwertwalen könne das marine Ökosystem stark verändern.

"Trotz meiner Faszination für diese Raubtiere mache ich mir zunehmend Sorgen um das natürliche Gleichgewicht an der Küste", sagt Studienautor Primo Micarelli von der Universität Siena in Italien. (Reinhard Kleindl, 2.3.2024)