Nicht nur die Hardware hat sich über die Jahre stark weiterentwickelt.
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Das World Wide Web (WWW) hat über die Jahre einen rasanten Wandel vollzogen. Ermöglichten frühe Versionen der zum Erstellen von Webseiten genutzten Hypertext Markup Language (HTML) nicht viel mehr als einfachste Textformatierung und das Einfügen von Hyperlinks, folgte bald danach eine Art goldene Phase im Webdesign. Keine Webseite sah aus wie eine andere, und sogar manche Profilseiten konnten in einem Maß personalisiert werden, das nach heutigen Maßstäben unmöglich erscheint. Stattdessen surfen wir erneut in einem Web, in dem man vor lauter glattem Design und Weißflächen nicht mehr sagen kann, auf welcher Seite man sich gerade befindet. Wie konnte das passieren?

Die Spätantike – oder im Webdesign die frühen 90er

Das World Wide Web wurde vor rund 30 Jahren in Genf geboren. Die Forscher der europäischen Organisation für nukleare Wissenschaft Cern hatten Anfang der Neunzigerjahre die Idee zur Entwicklung eines Computersystems, das mit sogenannten Hyperlinks Referenzen im Text vernetzt und die akademischen Arbeiten der Organisation in ein System speist. Diese Idee sollte schon bald an Popularität inner- und außerhalb akademischer Kreise gewinnen.

Eine Kopie der ersten Webseite wird immer noch von Cern gehostet.
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Diese ersten Gehversuche mit dem Ausdruck "Design" zu bezeichnen ist durchaus euphemistisch, aber alles hat irgendwo seinen Anfang. Die wichtigste Neuerung war bei weitem die Implementierung der erwähnten Hyperlinks. Anfangs zusätzlich in Blau gehalten, signalisiert heute noch oft unterstrichener Text eine Verlinkung.

Der Wilde Westen – 1995 bis 2000

Nachdem der anfängliche Enthusiasmus schließlich abebbte und die damaligen technischen Lösungen an ihre Grenzen gestoßen sind, begann eine Zeit, in der sämtliche Regeln des Webdesigns gebrochen wurden, bevor sie überhaupt aufgestellt worden sind. Grelle Farben, unzählige animierte Elemente, die nur darauf warten, vom Cursor angeklickt zu werden, und Audiofiles, die beim Aufruf der Seite sofort hochkomprimierte Popmusik spielen, sind nur einige wenige Verbrechen, die sich Webseitenbesitzer in dieser Zeit leisteten. Gleichzeitig war es aber auch eine Zeit, in der alles möglich war. Bis auf einen unverbesserlichen Hang, sich an der visuellen Ästhetik der "Matrix"-Filme anzulehnen, sah keine Webseite wie die andere aus.

Ein Wettbewerb sollte über das Redesign von Windows95.com entscheiden, einer inoffiziellen Download-Seite für das Betriebssystem von Microsoft.
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Ein Traum in Grün und Schwarz und bei weitem nicht der einzige in dieser Zeit.
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So bunt und interessant die Seiten dieser Ära auch wirken, so unübersichtlich sind sie in der Benutzung. Oft konnte man die Funktionen der grellen Elemente nur mittels "Versuch und Irrtum" herausfinden. Diese Inhomogenität lädt zwar zum Erkunden ein, stellt sich aber in den Weg jener, die einfach nur Informationen auf einer Webseite einholen wollen.

Die goldene Zeit des Webdesigns – 2000 bis 2007

Die Ankunft des Flashplayers war für Webdesigner ein ähnlich einschneidendes Erlebnis wie die Erfindung des WWWs selbst. Die 1996 von der Firma Macromedia veröffentlichte und ein Jahrzehnt später von Adobe übernommene Anwendung ermöglichte die Darstellung multimedialer Inhalte. Videos, Musik und Animationen konnten endlich in einer Art und Weise im Web dargestellt werden, die so bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war. Eine ganze Welle an jungen Kreativen nutzte die darstellerische Fähigkeit des Programms, um Zeichentrickfilmen und anderen künstlerischen Projekten gratis auf Seiten wie Newgrounds eine Bühne zu bieten. Während in den zuvor liegenden Jahren die Devise "Mehr ist mehr" gegolten hat, schafften es die Webdesigner dieser Ära, den Mittelweg zwischen visuell ansprechend und benutzbar zu finden.

123Klan ist eine französische Graffiti-Crew, die bis heute existiert.
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Diese Portfolio-Seite eines niederländischen Designers war interaktiv mit Flash aufgebaut.
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Newgrounds galt als der Ort, um eigene Animationen und Flash-Game-Projekte zu posten.
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Eine weitere Neuerung dieser Zeit waren die sogenannten Content-Management-Systeme – kurz CMS. Besser bekannt unter Markennamen wie Wordpress oder Square Space, erleichtern diese Systeme die Veröffentlichung von eigenen Webseiten. Blogging oder das Führen einer persönlichen Webseite wären ohne diese Erleichterung nur schwer möglich, es hat jedoch auch die fortschreitende visuelle Gleichschaltung des Internets befeuert.

Mit Wordpress kann sich jeder seine eigene Webseite aus Bausteinen zusammenbauen.
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Ära der Mobiltelefone – 2007 bis 2010

"Responsives Webdesign", also Design, das sich an das verwendete Gerät oder die Größe des Browserfensters anpasst, läutete das Ende der goldenen Ära ein. Nachdem Anfang 2007 die erste Generation des iPhones von Steve Jobs vorgestellt worden war, veränderten sich die Gewohnheiten der Internet-User schlagartig. Bis heute sind Mobiltelefone eine der häufigsten Arten, wie wir mit der Welt online interagieren. Dieser Umstand versetzte die Webseitenentwickler der damaligen Zeit in Zugzwang, ihre Produkte auch auf mobilen Geräten funktionsfähig zu machen. Auch der Untergang des Adobe Flashplayer kann auf die Kuhhaut Apples geschrieben werden. In einer umfangreichen schriftlichen Ausführung mit dem Titel "Thoughts on Flash" äußerte sich Jobs über die Zukunft der Anwendung. "In der mobilen Ära geht es um sparsame Geräte, Touch-Steuerung und offene Webstandards – alles Bereiche, in denen Flash zu kurz kommt", so der Apple-Mitbegründer.

Auf dem Desktop wird die Seite in drei Säulen angeordnet. Am Mobiltelefon sind die Elemente untereinander.
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In dieser Zeit wechselte der Ethos im Webdesign von "Form über Funktion" ins Gegenteil. Webseiten sollten nicht nur auf visueller Ebene beeindrucken, sondern in erster Linie auch die benötigten Informationen schnell und einfach bereitstellen können. Das Internet ist ein alltäglicher Begleiter geworden, und da ist für künstlerische Spielereien leider keine Zeit mehr.

"Flat Design" 2010 bis heute

Der moderne Trend hat sich fortgesetzt. Angefangen mit den Webseiten veränderten unzählige Unternehmen und Marken die Art, in der sie ihre visuelle Identität darstellen. Lesbarkeit und darstellerische Klarheit stehen über allen anderen Faktoren und addieren sich zu einer Philosophie, die mit dem Begriff "Flat Design" beschrieben wird. Während beim Gegenteil, "Rich Design", ein besonderes Augenmerk auf Eye-Catcher, Schatten und andere gestalterischen Austobungsmöglichkeiten gelegt wird, stehen beim flachen Gegenstück Minimalismus, helle Farben ohne Verlauf und die namensgebenden flachen 2D-Icons im Vordergrund.

Der Wechsel von IOS 6 zu 7 brachte realistischere Icons mit sich.
Tiller.

Vor ziemlich genau zehn Jahren verpasste Apple mit iOS 7 seinem mobilen Betriebssystem jenen neuen Look, der bis heute das Aussehen der iPhone-Oberfläche prägt. Apple-Nutzer mit gesundem Erinnerungsvermögen werden sich noch an die zuvor verwendeten App-Icons erinnern. Damals prägte ein gewisses Maß an Realismus die Darstellungen der Apps. Die Kamera oder der Kompass waren quasi bildlich im Telefon versteckt und haben so sicherlich auch weniger technikaffinen Handybesitzern die Benutzung leichter gemacht. Nachdem das Handy die Benutzung der eigentlichen Gegenstände weitgehend obsolet gemacht hatte, veränderten sich auch die Icons. Simpler und nach den Regeln der von Konzernen propagierten "Flat Art" abstrahiert, blicken einem jetzt dieselben Apps wie früher an, nur sehen sie charakterloser als früher aus.

Im Grunde gesehen ist es ein kleines, fast nichtiges Problem, sich mit langweiligen Webseiten herumschlagen zu müssen. Besonders wenn sie eigentlich völlig funktionsfähig sind und keine Informationen vorenthalten. Dennoch vermisse ich die Zeiten, in denen die Entdeckung einer neuen Webseite noch ein kleines Highlight darstellte. Der mit Zeichentrick zum Leben erweckten Band Gorillaz gelang wahrscheinlich der größte Wurf bei dieser Art von Internetpräsenz. Im Zuge der Veröffentlichung ihres "Plastic Beach"-Studioalbums stellten sie ein Feature-beladenes Point-and-Click-Adventure auf ihrer Homepage gratis zur Verfügung. Projekte wie dieses können in der heutigen Webdesign-Landschaft nicht mehr existieren, und das ist mehr als schade. (Georg Laurenz Dittlbacher, 4.3.2024)