Dreizehn alte Zinshäuser entlang der Werndlgasse in Wien-Floridsdorf: Die Eingänge mancher Stiegen der Nordbahnsiedlung Werndlgasse, einer alten Eisenbahnersiedlung, sind mit Brettern vernagelt, ebenso die Fenster einiger Erdgeschoßwohnungen. Die ganze Gegend macht einen etwas verwahrlosten Eindruck; neben ein paar Mülltonnen lagert Sperrmüll. Zahlreiche Wohnungen hier stehen leer. Die Wohnhäuser im Zentrum Floridsdorfs, einen Steinwurf hinter dem Schlingerhof gelegen, einem prächtigen Gemeindebau aus den 1920er-Jahren, gehörten einst der ÖBB. Vor rund fünf Jahren wurden sie per Bieterverfahren veräußert.

Die Erdgeschoße sind mit Brettern vernagelt, Sperrmüll lagert entlang der Straße.
Putschögl

Die neuen Eigentümer, Projektgesellschaften der Linzer IFA AG, wollen hier schon bald wieder Leben einziehen lassen: "Baumstadt Floridsdorf" heißt das Projekt mit rund 300 Wohneinheiten, die teils in den Bestandsbauten, teils in Aufstockungen und in neuen, zwischen den alten Häusern errichteten Bauteilen entstehen sollen. Alles in Holzbauweise. Ein Nachverdichtungsprojekt, wie es sich die Stadt nur wünschen kann? Ziemlich sicher: Ja.

11.000 Quadratmeter mehr

Allerdings braucht das Projekt eine neue Flächenwidmung, die demnächst auf der Tagesordnung des Wiener Gemeinderats steht. Und diese beabsichtigte Umwidmung erweckt den Eindruck, dass hier das eine oder andere Auge zugedrückt wurde. Jedenfalls für die Wiener Grünen, die den Fall am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde im Gemeinderat diskutieren wollen.

Denn die alten Zinshäuser weisen derzeit eine Nutzfläche von rund 20.000 Quadratmetern auf, und selbst unter Ausnutzung der bestehenden Widmung wären 28.000 möglich. Die neue Baumstadt wird aber rund 39.000 Quadratmeter an Bruttogeschoßfläche aufweisen. Also über ein Drittel mehr, als derzeit möglich wäre.

Die Siedlung Werndlgasse ist rund 150 Jahre alt.
Putschögl

Und zumindest diese "neuen" 11.000 Quadratmeter an Nutzflächen hätten mit der neuen Widmungskategorie "Gebiete für geförderten Wohnbau" belegt werden müssen, finden die Wiener Grünen. Das wird aber nicht gemacht – obwohl den Projektwerbern noch im Jänner 2020 bei ihrer ersten Anfrage bezüglich einer Umwidmung von der zuständigen MA 21B mitgeteilt wurde, dass nach damaligem Stand der Dinge bei einer Überarbeitung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans die neue Widmungskategorie zur Anwendung kommen müsse.

"Rendite von 5,7 Prozent p. a."

Jetzt ist das anders, die Widmungskategorie wird nicht angewandt, bestätigt man vonseiten der Stadt. Die Investoren bewerben die Wohneinheiten bereits mit dem Versprechen von Renditen in Höhe von 5,7 Prozent per anno als Bauherrenmodell. Mindestinvestment: 142.100 Euro. Vertriebsstart war schon im September des Vorjahrs.

Visualisierung des Projekts aus der Luft: Die bestehende Siedlung wird revitalisiert und verdichtet.
IFA AG

"Offensichtlich haben die Projektentwickler bei der Planungsstadträtin durchgesetzt, die Widmungskategorie nicht umsetzen zu müssen", kritisiert der Wiener-Grünen-Chef Peter Kraus. Die Baumstadt Floridsdorf könnte aus seiner Sicht tatsächlich ein vorbildliches Projekt werden, "allerdings geht die Stadtregierung in die falsche Richtung. Mit derart investorenfreundlichen Widmungen wird keine einzige günstige Wohnung geschaffen." Und Kraus hält den Wiener "Genossen" auch jüngste Aussagen des SPÖ-Bundesparteichefs vor, der forderte, die Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau" bundesweit umzusetzen. "In Ballungszentren sollen mindestens 50 Prozent neu gewidmeten Baulands für den gemeinnützigen Wohnbau reserviert werden", sagte Andreas Babler erst vor wenigen Tagen.

6.000 Quadratmeter mit "Wohnungsverbot"

Andreas Baur, Sprecher der MA 21B, teilt auf Fragen des STANDARD dazu Folgendes schriftlich mit: "Die jetzt dem Gemeinderat vorliegende Planung erklärt sich dadurch, dass der Projektwerber (und nicht die Stadt Wien) das Vorhaben geändert hat." Ursprünglich sei das Projekt Baumstadt Floridsdorf als reines Wohnprojekt vorgesehen gewesen, später wurde der Wohnanteil vonseiten des Projektwerbers reduziert.

Rund 6.000 Quadratmeter der zusätzlichen Nutzfläche werden nun mit einem "Wohnungsverbot" belegt, erklärt Baur. Hier darf also nicht gewohnt werden, stattdessen seien diese Flächen "einer Nutzung als Sozial- bzw. Betreuungseinrichtung vorbehalten – die der Projektwerber nun zu errichten plant". Somit betrage der Zuwachs an Bruttogrundfläche für Wohnen "weniger als 5.000 Quadratmeter. Gemäß den diesbezüglichen Planungsgrundlagen ist daher die Widmung 'Gebiete für geförderten Wohnbau' laut aktueller Rechtslage nicht zur Anwendung zu bringen."

Geförderte Sanierung

Ein Teil des Bauvorhabens werde im Wege einer geförderten Sanierung realisiert, erklärt der Sprecher weiter. "Diesbezüglich wird es Regelungen in einem städtebaulichen Vertrag geben." Der Vertrag wird ebenfalls im Gemeinderat beschlossen, er enthält auch Verpflichtungen für den Bauwerber, einen "Grätzelpark" samt Baumneupflanzungen anzulegen und für Verkehrsberuhigungsmaßnahmen die Straßenfläche anzuheben.

Und dennoch: Nach Ansicht der Grünen wurde der Wohnanteil des Projekts so weit "heruntergerechnet", dass man die neue Widmungskategorie nicht mehr anwenden musste. Denn an sich wäre die Rechtslage eindeutig: In den Planungsgrundlagen zur 2018 beschlossenen und Anfang 2019 in Kraft getretenen Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau" heißt es, dass die neue Kategorie auch bei einer Erhöhung der Dichte in bestehenden Wohngebieten angewendet werden soll. "Zwei Drittel der zusätzlich zulässigen baulichen Dichte sind dabei für geförderte Wohnnutzfläche vorzusehen." Zusatz: Es muss sich dabei um eine Erhöhung der zulässigen baulichen Dichte "in erheblichem Ausmaß" handeln. Was bei mehr als einem Drittel an neuen Flächen wohl der Fall wäre. (Martin Putschögl, 21.2.2024)