Wer will heute noch über die Themen mit dem langen Damenbart reden? Die Dohnal wollte das noch, zum Beispiel in ihrer Sprechstunde.
Wer will heute noch über die Themen mit dem langen Damenbart reden? Die Dohnal wollte das noch, zum Beispiel in ihrer Sprechstunde.
Fritz Kern

Am 14.2.2024 wäre Johanna Dohnal 85 Jahre alt geworden. Wer weiß, ob wir ohne sie jemals in der geschlechterpolitischen Moderne angekommen wären. Ihr nachzuweinen hat wenig Sinn: Eine politische Reinkarnation ist nicht in Sicht, ihr Ministerium ist zu einem zahnlosen Beschwichtigungsapparat verkommen, und im politischen Tagesgeschäft sind Frauen bestenfalls Randthema. Zeit, sich zu fragen: Was hat die Dohnal richtig gemacht? Wie könnte die Frauenpolitik wieder reanimiert werden, und von wem?

Erste Anlaufstelle: Johanna-Dohnal-Archiv. Wühlt man sich durch die Kisten mit Pressemeldungen, Notizen und Korrespondenzen, hat man bald das Bedürfnis, mit Salbei zu räuchern oder sich zumindest die Hände zu waschen: Was sich da über die Lippen und aus den Federn ihrer Widersacher über diese Frau ergossen hat, ist schon aus der Distanz schwer zu ertragen.

Und, als wäre die Häme aus den Zeitungsredaktionen, der heilige Zorn aus den katholischen Schreibstuben und die Galle in Form anonymer Zuschriften nicht genug gewesen: Parteikollegen fielen ihr wiederholt in den Rücken und demütigten sie vor laufenden Kameras. Nicht umsonst ist verbrieft, dass Johanna Dohnal es nach den Kommentaren so mancher Parlamentarier gerade noch in die Löwelstraße (wo die Bundesgeschäftsstelle der SPÖ war) geschafft hat, um sich dort ungestört zu übergeben.

Erste Erkenntnis: Die Dohnal war ein Ausnahmetalent mit einem starken Magen und einer eisernen Vision – Frauen ein besseres Leben zu ermöglichen.

Die Presse von damals erweckt den Anschein, als hätte Johanna Dohnal nicht weniger als alle gegen sich gehabt – was natürlich nicht stimmt. Ihre Arbeit wäre gar nicht möglich gewesen ohne die Triebkraft der autonomen und politischen Frauenbewegung, die auf der Straße oder in den Gremien Schwerstarbeit verrichtete: überzeugen, widerlegen, fordern, erklären, ermutigen, und wieder von vorn. Die uns so selbstverständlich vorkommende Gleichwertigkeit der Geschlechter geht auf radikale Forderungen zurück, die erst einmal im postfaschistischen Nachkriegsösterreich aufschlagen mussten.

Selbstbestimmtes Leben und Arbeiten, straffreier Schwangerschaftsabbruch, Familienrecht – es galt, bis in die DNA der geschlechterpolitischen Rückständigkeit dieses Landes vorzudringen: das zutiefst katholisch indoktrinierte Private. Die juristischen Umbauten auf dem Weg zu unserer heutigen Normalität waren gewaltig – und nur möglich, weil die Dohnal ein visionäres Team hinter sich hatte. Ohne Bruno Kreisky hätte Johanna Dohnal keine Machtposition bekleidet, und ohne Justizminister Christian Broda wäre gar nichts gegangen.

"Sie hat mit allen geredet"

Zweite Erkenntnis: Dohnal ist zu Recht eine Ikone, aber es brauchte Männer an ihrer Seite und Frauen an der Basis.

Als uneheliches Arbeiterkind, das im Krieg geboren und bei der Großmutter aufgewachsen ist, hatte sie etwas, was in der rezenten Politik selten ist: mehr als eine Ahnung von einem Leben abseits der Privilegien. Die eigene Erfahrung aber reichte ihr nicht. Johanna Dohnal reiste durchs Land, initiierte "Frauensprechstunden", hörte sich Sorgen an und nahm sie ernst. Auf Basis der Bedürfnisse wurden Problemlösungen erarbeitet und in Gesetze umformuliert. In allen Interviews, die ich mit Weggefährtinnen geführt habe, hörte ich diesen Satz: "Sie hat mit allen geredet." Die Dohnal und ihr Team berieten sich auch mit internationalen ExpertInnen, und auf Konferenzen teilte sie ihr Wissen, ihre Erfolge und Pleiten wieder mit ihren Gefährtinnen. Sie war sich nicht zu schade, mit Broschüren über Kindergeld, Verhütung und Schwangerschaftsabbruch durch das Land zu tingeln und den Kreis von Ursache und Wirkung zu schließen. Der zweite Satz, der bei den Interviews immer fiel, war oft von einem Seufzen begleitet: "Sie hat die Politik wirklich mit den Frauen gemacht, und nicht nur für sie."

Dritte Erkenntnis: Johanna Dohnal ging vorbehaltlos und auf Augenhöhe auf Frauen zu. Sie verstand viel von Teambuilding und Leadership.

Die 1970er-Jahre waren eine Zeit des Aufbruchs. Doch viele der humanistischen Pflöcke wurden gegen den Willen der Bevölkerung eingeschlagen. Die 1970 aufgehobene Todesstrafe wäre bei Zustandekommen einer Volksabstimmung wieder bejaht worden, und Reformen wie die Entkriminalisierung der Homosexualität, Entmachtung des Vaters als Familienvorstand und Fristenlösung mussten allesamt gegen den Strich der Bevölkerung, der ÖVP und der Kirche gebürstet werden. Auch dafür werden Volksvertretungen gewählt: nicht nur, um auf Plakaten und in Inseraten die eigene, großartige Performance zu behaupten, sondern um im Gegenwind unpopuläre, aber zukunftsweisende Weichen zu stellen.

Johanna Dohnal war ab 1991 die erste Frauenministerin Österreichs, sie starb am 20. Februar 2010.
Johanna Dohnal war ab 1991 die erste Frauenministerin Österreichs, sie starb am 20. Februar 2010.
Eva Kern / picturedesk.com

Trotz aller Radikalität genoss Johanna Dohnal großen Rückhalt. 1993 hatten 58 Prozent der Frauen eine gute Meinung von ihr (42 Prozent eine schlechte) – und 32 Prozent (47 Prozent) der Männer. Bei Frauen stand sie also netto 16 Prozent im Plus. Im Dezember 2023 stand fast die ganze österreichische Regierung vertrauensmäßig tief in der Schuld der Bevölkerung; die Frauenministerin mit 28, Wolfgang Sobotka sogar mit 51 Prozentpunkten. Natürlich sind Beliebtheitswerte kein Gradmesser für eine gelungene Politik. Die Frage ist: Womit habe ich mich unbeliebt gemacht? Und wie sieht es 50 Jahre später aus?

Allen katholischen Interventionen zum Trotz bejahen drei Viertel der Bevölkerung die Fristenlösung 50 Jahre nach ihrer Einführung. Mir ist keine Frau bekannt, die sich den Haushaltsvorstand zurückwünscht und die ihren Gatten wieder fragen müssen will, wo sie wohnen und ob sie arbeiten darf. Sehr wohl gibt es Männerrechtsbewegungen, die auf eine "Wiederherstellung der natürlichen Ordnung" abzielen – und die sind auf dem Vormarsch, auch und gerade in Europa.

Vierte Erkenntnis: Richtungsweisende Politik ist Schwerarbeit und wird von der Wählerin oft erst Generationen später gedankt. Wer in Legislaturperioden denkt, dem bleibt der Populismus.

Womit wir bei der Gegenwart angelangt sind, bei ihren Problemen und bei zu schlagenden Wahlen. Während der vergangenen Regierungsperiode haben Frauen hochkonzentriert unter die Nase gerieben bekommen, was alles noch nicht erledigt ist. Ein kleines Virus hat uns die großen, alten Baustellen gezeigt: Die unbezahlte Arbeit hängt immer noch an den Frauen, unser Bildungswesen ist reformbedürftig, und typische Frauenberufe sind es trotz aller "Systemrelevanz" dem System nicht wert, sie anständig zu bezahlen.

Die Fristenlösung sieht alt aus

Abtreibungsverbote in Polen und in den USA haben viele Frauen aus ihrem feministischen Schlaf gerissen, und schön langsam zeigt sich auch hier, wie alt die Fristenregelung nach 50 Jahren unter der juristischen Käseglocke aussieht: Ganze Bundesländer verstecken sich hinter der Gewissensklausel, Abbrüche werden so gut wie nicht unterrichtet, durchführende Ärzte und Ärztinnen werden stigmatisiert, Frauen werden bevormundet, schikaniert und durch das ganze Land geschickt. Das Finanzielle "regelt" der freie Markt.

Keine andere Gesundheitsleistung wird dermaßen verlogen gehandhabt, und im europäischen Vergleich schrammt Österreich nur knapp an einer Blamage vorbei. Schade, dass eine SPÖ bei der Debatte über Abbrüche in Vorarlberg die Chance verpasst hat, sich mit Dohnals Lorbeeren zu schmücken und laut zu fordern, dass der Schwangerschaftsabbruch endlich aus dem Strafgesetzbuch entfernt – und genauso wie die Verhütung von den Krankenkassen übernommen gehört. Stattdessen gab es peinliches Herumdrucksen von roten Landeschefs, von denen sich viele SPÖ-Frauen verraten fühlen.

Die Klimakrise, sexistische KI, Krieg in Europa, Teuerungswelle – die Liste der Probleme wird nicht kürzer. Gott sei Dank weist uns die ÖVP den Weg aus der Krise: mit Genderverbot und Omakarenz!

Hand aufs Herz: Wer hat nach "Burgergate" wirklich geglaubt, die ÖVP hätte etwas anderes als Gleichgültigkeit für die realen Probleme der Frauen übrig? Zum Arbeiten zu faul, zum Rechnen zu deppert, zum Kochen zu patschert: Wenn du Ganztagsjob, Kinder und das bisschen Haushalt nicht unter einen Hut kriegst, hast du die "Wahlfreiheit" falsch verstanden!

Gertraud Klemm ist eine österreichische Schriftstellerin. Zuletzt erschien ihr Roman
Gertraud Klemm ist eine österreichische Schriftstellerin. Zuletzt erschien ihr Roman "Einzeller" (Kremayr & Scheriau, 2023)
Heribert Corn

Fünfte Erkenntnis: Frauenpolitik ist immer nur so wichtig, wie die rechtmäßig gewählten Parteien es befinden. Österreich hat die Frauenpolitik, die es verdient.

Was passiert, wenn die Frauenpolitik ihre Agenda verschnarcht und glaubt, es sei alles erledigt, kann man sich in Österreich sehr schön ansehen: All die Kennzahlen, an denen wir Gleichberechtigung messen, stagnieren. Die Vermächtnisse der Frauenbewegungen werden nicht unterrichtet oder gefeiert, ihre Dringlichkeit wird nicht bewusst gemacht. Frauenpolitik ist obsolet geworden – in der Regierung und bei den WählerInnen. Wer will schon noch über die Themen mit dem langen Damenbart reden, etwa Gehaltsschere oder Pensionsschere, wenn die Diskurse über Identitätspolitik und Gendersternchen die Medien beherrschen?

An die Stelle radikaler Frauenpolitik treten akademische Kulturkämpfe, die wiederum vielen Frauen "mit echten Problemen" zu weltfremd sind. Und schon haben wir eine gespaltene Frauenbewegung! Für die Konservativen kann es nicht besser kommen, umso mehr, weil sie das zuständige Ministerium in Geiselhaft haben.

Sechste Erkenntnis: Eine gespaltene Bewegung kann keine Forderungen formulieren, schon gar nicht, wenn das Ministerium qua Definition feministisch inkompetent ist. Wer nichts verlangt, bekommt nichts.

Frauen stellen die Mehrheit der Bevölkerung, und die wird benachteiligt: am Arbeitsmarkt, in der Politik, in der Gesellschaft, im Gesundheitswesen, in der Pension. Frauen haben keine Gewerkschaft, Kammer oder Lobby, und sie werden auch von der Politik selten direkt angesprochen – sondern mitgemeint. Aber nein: Natürlich sind Frauen keine einheitliche Masse mit einheitlichen Bedürfnissen. Genauso wenig wie "die Arbeiter", "Selbstständige" oder "die Impfskeptikerinnen" ein mit einer Stimme sprechendes Kollektiv sind. Was, wenn all die Ungeheuerlichkeiten, die traditionell auf ihrem Rücken ausgetragen werden, als politisches Potenzial begriffen würden?

Unbezahlte Arbeiten

Die Sache mit dem Alleinerziehen etwa oder die teilzeitbedingte Altersarmut. Die Kinderbetreuung auf dem Land, die Pflege, die unbezahlte Arbeit, die sie das ganze Leben lang begleitet. Die de facto alleinige Verantwortung für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Der Mangel an Öffis. Die viel zu unentschlossene Gewaltprävention. Das Fehlen von Hebammen, Kinderärztinnen, Gynäkologinnen.

Nicht zuletzt: In ganz Europa vernetzen sich gerade rechte Parteien erfolgreich mit radikalen Religiösen wie Agenda Europe oder Citizen Go. Russische Oligarchen pumpen Millionen in ein misogynes, klerikalfaschistisches Netzwerk, das Verhütung verbieten und Frauen an den Herd schicken will. Sie aufzuhalten sollte das erklärte Ziel aller demokratischen Kräfte sein.

Siebente Erkenntnis: Wie andere wahlumworbene Gruppen verdienen Frauen es, adressiert zu werden. Man müsste sie halt als politisches Kapital begreifen.

Was also wollen "die Frauen"? Sie wollen eine ordentliche Gesundheitsversorgung, die im 21. Jahrhundert angekommen ist, und sie wollen nicht die ganze unbezahlte Arbeit machen. Sie lassen sich nicht gern sagen, dass sie Kinder kriegen sollen, und sie mögen es nicht, wenn man sich ungefragt in ihre Unterleibsangelegenheiten einmischt. Sie wollen weder begrapscht noch vergewaltigt werden, sondern respektvoll behandelt – auch im Alter. Sie wollen leistbar verhüten, würdevoll gebären und nicht schikaniert und bevormundet werden, wenn sie eine Schwangerschaft beenden. Sie wollen Bildung, gerecht entlohnte Arbeit, und ihren Kindern und älteren Angehörigen soll es gut gehen.

Welche Partei könnte sich da zuständig fühlen? ÖVP und FPÖ haben vielfach bewiesen, dass sie Frauen bestenfalls mitmeinen. Die Neos sind feministisch – im neoliberal eingegrenzten Rahmen. Die Grünen sind frauenpolitisch sattelfest, aber immer noch nicht mehrheitsfähig; viele heteronormative Frauen fremdeln mit den identitätspolitischen (und anderen) Positionen, und manche verzeihen den Grünen ihre Ehe mit der ÖVP nicht. Bleibt die SPÖ. Wird Andreas Babler seine frauenpolitischen Ansagen zu einer Agenda verdichten, die es auf Wahlplakate schafft?

Wird sich irgendeine Partei dazu hinreißen lassen, Frauen wenigstens falsche Versprechen zu machen? Sie wählen anders als Männer und haben schon manche Wahl (nach links) gedreht. Vielleicht traut sich ja eine Partei; vielleicht fragt ja einmal jemand nach, was die mitgemeinte Mehrheit will oder braucht. Hat schon sehr lange niemand mehr gemacht. (Gertraud Klemm, 4.2.2024)