Im fünften Stock steht ein Mann auf dem Balkon und telefoniert. Nicht besonders laut und schon gar nicht überbordend in seinem stimmlichen Volumen, und dennoch versteht man jedes einzelne Wort. "Ja, nein, geht leider nicht, war aber ausgemacht, wann kann die Lieferung erfolgen?" Ein paar Kojen weiter, zwei Etagen tiefer, sitzen ein paar Freunde an der frischen Luft, Prost, und unterhalten sich über den edlen Tropfen im Glas, eine Mischung aus Säure, Abgang, Wohlgefallen. Schräg vis-à-vis klirrendes Kindergeschrei, nach wenigen Sekunden wird die Terrassentür geschlossen.

Wie klingt Stadtverdichtung? Das Buwog-Projekt mit Häusern, die nach Blumen benannt sind, beweist, dass längst noch nicht alle Fragen beantwortet sind.
Wojciech Czaja

Fast ist man verleitet, nach den Lautsprechern zu suchen, so unerhört gut pflanzt sich der Schall in diesem 30 mal 30 Meter großen, zehnstöckig umzingelten, mit harten Oberflächen verglasten und zubetonierten Innenhof fort. Ein akustisches Schaustück des Alltags, ein riesiges Amphitheater des Wohnens, in dem sich die Loggien um die freie Mitte gruppieren wie die Logen im Burgtheater, in der Staatsoper um Bühne und Parkett. Fragt sich nur: Wer ist hier der Schauspieler und wer das Publikum?

"Den durch häusliche Räume zum Ausdruck gebrachten Empfindungen muss nichts ungewöhnlich Liebreizendes oder Anheimelndes anhaften", schreibt Alain de Botton in seinem 2006 erschienenen Buch Glück und Architektur. Von der Kunst, daheim zu Hause zu sein. "Zwischen den Vorstellungen von Heim und heimelig besteht keine notwendige Verbindung. Was wir Zuhause nennen, ist nur ein Ort, dem es gelingt, uns dauerhaft wichtige Wahrheiten näherzubringen, die von der weiten Welt ignoriert werden."

Hohe Bebauungsdichte

Kennedy Garden heißt dieses Projekt, das der Wiener Wohnbauträger Buwog mitten in die historische Penzinger Vorstadtbebauung hineinstellte. Einst befand sich hier, nur wenige Schritte von der Kennedybrücke entfernt, ein großer Siemens-Bürokasten. 2013 beschloss die Buwog, das rund zwei Hektar große Areal zu kaufen und umzuwidmen. Wo einst gearbeitet wurde, wird nun mittel- bis hochpreisig gewohnt. 512 Wohnungen umfasst das Mammutprojekt unter dem euphemistischen, marketingtechnisch gut gewählten Titel "Kennedy Garden".

Die einzelnen Wohnhäuser, nicht weniger blumig, hören auf Namen wie etwa Calla, Orchidea, Lavandula oder – wie im bildlich dokumentierten Falle – Magnolia mit insgesamt 206 freifinanzierten Eigentumswohnungen. Bis auf ganz wenige Restposten, erfährt man auf Anfrage bei der Buwog, die sich am Immobilienmarkt seit vielen Jahren mit dem Slogan "Glücklich wohnen" positioniert, sind bereits alle Wohnungen verkauft. "Schöne Häuser", schreibt de Botton, "scheitern nicht nur als Garanten des Glücks, sie müssen sich auch vorwerfen lassen, dass es ihnen durchaus nicht immer gelingt, den Charakter ihrer Bewohner zu verbessern."

Doch warum ist das Grundstück – vor allem im Bereich des Bauteils Magnolia – in einer solchen Wucht vollgepfercht, die sogar die Bebauungs- und Bevölkerungsdichte einzelner Straßenblocks in Neubau, Josefstadt und Margareten übertrifft?

"In Bezug auf die Dichte ist das Projekt grenzwertig", sagt Herwig Kleinhapl, Partner im Grazer Büro Love Architecture and Urbanism, das aus einem geladenen Architekturwettbewerb 2017 als Sieger hervorgegangen ist. "Die Bebauungsfläche und Baufluchtlinien hat die Stadt Wien in einem Bebauungsplan definiert. Hätten wir uns den Vorgaben widersetzt, wären wir wahrscheinlich disqualifiziert worden. Unsere Aufgabe war es daher, mit den strikten Vorgaben bestmöglich umzugehen."

Bestmögliche Privatsphäre

Und ja, die Architektur reagiert auf die vorgegebene Dichte, indem sie alle Stückel der räumlichen Geometrie spielt: Die Loggien und Achsraster der einzelnen Wohnungen sind leicht verdreht und orientieren sich zur offenen Flanke des Innenhofs, die Vor- und Rücksprünge schaffen ein Maximum an Abwechslung und kleinteiliger Verspieltheit, die massiven Querschotten sorgen für bestmögliche Privatsphäre. Der Kritik tut dies keinen Abbruch, auf dem visuellen und akustischen Präsentierteller bleibt man trotzdem.

Und was sagt die Buwog selbst zum Unglück des Autors dieser Zeilen, zur Skepsis an der immobilienwirtschaftlichen Jetztzeit-Praxis? "Wir befinden uns hier in der Tat in einer hohen Bebauungsdichte, dennoch gebe ich zu bedenken: Architektur und Dichte sind ein sehr subjektives Thema", meint Andreas Holler, Geschäftsführer der Buwog. "Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, dass Bebauungsdichte an der einen Stelle, Entsiegelung und Begrünung an anderer Stelle und vor allem Baukosten und Finanzierungsaspekte miteinander kommunizierende Gefäße sind."

Neue Wohndebatte

Dank des Bauteils Magnolia, so Holler, sei es gelungen, im südlichen Teil des Areals einen großen Park mit Spielplätzen anzulegen und im gesamten Projekt generell faire, leistbare Kaufpreise zu gewährleisten. "Und was die Akustik betrifft: Jedes Projekt bringt neue Learnings und Erkenntnisse mit, so auch im Kennedy Garden. Um die von Ihnen angesprochene Schallproblematik zu verbessern, planen wir nun, die Geländesprünge und Stützmauern zusätzlich zu begrünen."

Nachträgliche Stadtverdichtung ist gut und wichtig. Wir werden das Wachstum Wiens und anderer europäischer Großstädte nicht allein mit Bahnhofsüberbauungen und Satellitenstädten à la Aspern in den Griff kriegen. Zugleich aber beweist Kennedy Garden, dass wir noch einige sozialräumliche und stadtplanerisch-gesellschaftliche Hausaufgaben zu erledigen haben – oder aber unseren bislang gewohnten, mitteleuropäischen Wohnkomfort in puncto Privatsphäre gehörig überdenken müssen. Bevölkerungswachstum und Allüren auf Basis partikularer Interessen sind in Zukunft nicht länger vereinbar. Ein Weihnachtswunsch: Es braucht eine neue Wohndebatte.

"Im psychologischen wie im physischen Sinne brauchen wir ein Zuhause als Kompensation für unsere Verletzlichkeit", schreibt Alain de Botton, ein letztes Mal Glück und Architektur. "Doch dann, wenn wir endlich allein sind und aus dem Salonfenster in den Garten und in die zunehmende Dunkelheit schauen, können wir langsam wieder Kontakt mit dem wahren Selbst aufnehmen, das in der Kulisse nur auf das Ende unserer Show gewartet hat." (Wojciech Czaja, 27.12.2023)