Die Tische werden noch einmal sauber gewischt, in der Küche scheppern schon die Kochtöpfe. Es ist elf Uhr an diesem Dienstagvormittag, und im Beisl im Nordbahn4tel laufen schon die Vorbereitungen für das Mittagsgeschäft.

Seit vier Wochen wird hier Abend- und Mittagessen serviert. Zuvor haben Helmut Piringer und Nicole Helmreich neun Jahre lang die Vinothek und Greißlerei Der Burgenländer betrieben. Die Vinothek gibt es immer noch, und auch ein paar Lebensmittel werden noch in einer Vitrine angeboten. Doch vor ein paar Wochen haben die beiden ihr Konzept geändert. "Die Greißlerei ist immer schlechter gegangen", sagt Piringer. Deshalb gibt es hier jetzt Mittagsmenüs. Heute stehen Gemüsenockerln und Putenschnitzel auf dem Speiseplan.

Helmut Piringer gehören die Vinothek Burgenländer und das Beisl im Nordbahn4tel.
Redl

Dass das Geschäft nicht gut läuft, erzählen fast alle Unternehmerinnen und Unternehmer, die sich im Nordbahnviertel angesiedelt haben. Viele der Geschäfte werden von ihren Eigentümerinnen und Eigentümern direkt geführt. Ihnen fehlt die Laufkundschaft. Dass sie ausbleibt, hat auch mit dem vielen Leerstand zu tun, den es in den Erdgeschoßzonen teilweise zwei Jahre nach Fertigstellung der Gebäude noch immer gibt. Vor allem auf der Bruno-Marek-Allee, die die große Einkaufsstraße des Viertels sein soll, sind hinter vielen Glasscheiben nur leere Räume und weiße Wände zu sehen. Was vielen fehlt, sind etwa eine Drogerie, eine Pizzeria oder ein Optiker.

Ein guter Mix

Zuständig für die Vermittlung ist die Nordbahnviertel Service GmbH, ein privates Unternehmen, das vom Konsortium der Bauträger des Nordbahnviertels beauftragt wurde. Der Gedanke dahinter: Wenn alles von einer zentralen Stelle aus organisiert wird, entsteht ein guter Mix an Geschäften und Lokalen.

So viel zur Theorie. Denn viele, die hier schon ein Geschäft haben, kritisieren die hohen Investitionskosten. Wer sich für ein Lokal interessiert, bekommt es als Rohbau übergeben – muss sich also selbst um Böden, Sanitäranlagen, Lüftung und Heizung kümmern. "Da hängt ein Kabel von der Decke, und das ist der einzige Stromanschluss", sagt Piringer, der sich vor einiger Zeit für ein weiteres Lokal im Viertel, auf der Bruno-Marek-Allee, interessiert hat, dann aber aus Kostengründen den Plan wieder über Bord werfen musste. Als Entgegenkommen sei ihm damals lediglich angeboten worden, man könne ihm die Hälfte der ersten Monatsmiete erlassen. Für seine Vinothek und das Restaurant habe er zum Glück einen Direktvertrag mit dem Bauträger. Denn die GmbH ist nur für die Erdgeschoßzonen in der Bruno-Marek-Allee zuständig, Piringers Lokal liegt etwas abseits davon.

Michael Knoll betreibt das Fahrradgeschäft Starbike.
Redl

Auch die Höhe der Mieten für die Geschäfte wird kritisiert. Laut Michael Knoll, der das Fahrradgeschäft Starbike betreibt, seien diese so hoch wie in vielen bereits etablierten Einkaufsstraßen in Wien. Und was im Nordbahnviertel erschwerend hinzukommt: Dadurch, dass es sich bei den Leerständen jeweils um einen Erstbezug handelt und die Nordbahnviertel Service GmbH alle Erdgeschoßflächen angemietet hat, um sie an die Geschäftstreibenden weiterzuvermieten, gelten sie formal nicht als Leerstand. Die entsprechende Förderung für Geschäftsbelebung der Stadt Wien steht den Unternehmen somit auch nicht zur Verfügung – sie würde bis zu 25.000 Euro betragen.

Eine Startförderung für Geschäftstreibende in neuen Stadtgebieten gibt es nicht. Aus dem Büro von Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) heißt es dazu, man sei erst zuständig, wenn ein Gebiet nicht mehr im Entwicklungsstadium sei. Die Wirtschaftsagentur verweist auf eine Förderung, die ab nächstem Jahr 25 Prozent der baulichen Maßnahmen abdeckt, sollte mit einem Geschäft Nahversorgung (wieder) in ein Grätzel gebracht werden.

Kurzfristige Absagen

Auch die Zusammenarbeit mit der Nordbahnviertel Service GmbH gestalte sich teilweise als schwierig, sagt Knoll. In mehreren Terminen habe er versucht, aufgrund von Geschäftseinbußen seine Miete zu verhandeln – ohne Erfolg. Immer wieder sei die Nordbahnviertel Service GmbH auch zu Treffen des Grätzelbeirats eingeladen worden, habe dann aber wiederholt kurzfristig abgesagt.

Piringer erzählt, er habe einmal eine Idee für ein Pop-up vorgeschlagen. Erst habe er eine Absage bekommen, weil das Lokal bereits vermietet gewesen sei. Als dieser vermeintliche Mieter jedoch absprang, habe sich auch bei Piringer nie mehr jemand gemeldet, erzählt er und ergänzt: "Eigentlich müssten sie jeden nehmen, den sie kriegen können." Stattdessen würden Geschäftstreibende abgelehnt, weil sie nicht in den Mix passen. In den vergangenen Monaten hätte es immer wieder Zusagen gegeben, aus denen dann im letzten Moment wieder nichts geworden sei. Piringer wundert das nicht: "Wenn es dauerhaft so viel Leerstand gibt, macht das ein Viertel mit der Zeit uninteressant."

Rafaela Kathan-Kupfner betreibt das Spielwarengeschäft Wildes Böckle. Hier ist sie mit ihrer Familie zu sehen.
Lea Sonderegger

Mit drei kleinen Kindern ein Geschäft zu eröffnen sei eigentlich ein riskanter Luxus, sagt Rafaela Kathan-Kupfner. Sie leistet mit ihrem Spielzeuggeschäft Wildes Böckle viel fürs Viertel. Es gibt Spielenachmittage, Palatschinkenpartys und zahlreiche kostenlose Events. Sie liebt die Community im Viertel und freut sich über die Stammkundinnen. Dennoch sei die wirtschaftliche Situation herausfordernd. "Ich arbeite 80 Stunden pro Woche, und trotzdem geht es sich nicht aus", sagt sie. In der Straße sei "tote Hose", im Erdgeschoß stehe zu viel leer – und so würden viele die Bruno-Marek-Allee nicht als Einkaufsstraße wahrnehmen.

Die Bruno-Marek-Allee im Nordbahnviertel
Die Bruno-Marek-Allee im Nordbahnviertel.
Lea Sonderegger

Die Hauswirtschaft, ein gemeinschaftlich bewohntes Gebäude, wünscht sich im Erdgeschoß ein cooles Lokal, das zu den Bewohnerinnen und Bewohnern passt. Immer wieder hätte es Anfragen gegeben, aus denen nichts geworden ist, sagt Hauswirtschaft-Initiator Peter Rippl. Auch er hält die Flächen für zu teuer und kritisiert, dass sie im Rohbau übergeben werden. Junge Gründerinnen und Gründer in neuen Stadtvierteln müsse man besser unterstützen, findet er, denn "sie bringen einen Drive und Innovationen ins Viertel". Als Beispiel nennt er das Sonnwendviertel in Wien-Favoriten. Dort wurde in der zweiten Bauphase in einigen Häusern im Vorhinein vereinbart, dass die Mieten im Erdgeschoß für zehn Jahre auf vier Euro pro Quadratmeter gedeckelt werden. Ähnliche Initiativen würden sich viele auch im Nordbahnviertel wünschen.

Mit der Nordbahnviertel Service GmbH habe die Hauswirtschaft prinzipiell ein gutes Auskommen. Manche Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels würden sich allerdings mehr Grätzelarbeit wünschen. "Eigentlich hat die GmbH auch die Aufgabe, die Community zu betreuen, diese Servicefunktion wird von einigen als zu gering empfunden", sagt Rippl.

Keine Stellungnahme

Zu all den Vorwürfen hätte DER STANDARD auch die Nordbahnviertel Service GmbH gerne ausführlich befragt. Das Unternehmen wollte jedoch zu konkreten Themen – hohe Mieten, Übergabe im Rohbau, Zusammenarbeit im Grätzel – keine Stellungnahme abgeben. Telefonische oder persönliche Gespräche seien nicht möglich, in einer E-Mail hieß es, der vielfältige Nutzungsmix in den Erdgeschoßlokalen habe oberste Priorität.

Die Geschäftstreibenden wollen nun selbst tätig werden. Sie haben sich zu einem Einkaufsstraßenverein zusammengeschlossen, wollen ein Netzwerk aufbauen und selbst versuchen, Geschäfte in die Gegend zu holen. Das Unverständnis bleibt dennoch. "Warum baut man eine Prachtstraße und behandelt sie dann stiefmütterlich?", fragt Knoll und fügt hinzu: Im Alltag fühle es sich oft so an, als hätte man das Stadtviertel vergessen. (Bernadette Redl, 19.12.2023)