In der Mitte liegen noch die Gleise des alten Frachtenbahnhofs, gefüllt mit Schotter, damit man bequem darüber gehen kann – rechts und links ist Wildnis, Gestrüpp oder wie man hierzulande so schön sagt: Gstettn. In der zehn Hektar großen "Freien Mitte" im Nordbahnhofareal sieht Wien so aus, wie man es sonst kaum wo sieht. Schotterberge sind bewachsen mit allem, was die Natur so hervorbringt – nicht umsonst heißt die große Freifläche auch Stadtwildnis.

Parkbänke im Nordbahnviertel
Das Nordbahnviertel in Wien-Leopoldstadt ist baulich schon weit fortgeschritten.
Lea Sonderegger

"Die Kinder lieben es", sagt Dominik Scheuch vom Büro Yewo Landscapes beim Rundgang durch das Areal. Scheuch wohnt nicht nur im Viertel, sondern arbeitet auch hier. Anfangs habe die MA 42, die für die Stadtgärten zuständig ist, sehr mit der "Gstettn-Atmosphäre" gehadert, immerhin ist sie sonst eher damit beschäftigt, Rasenflächen zu pflegen, sagt Scheuch, der mit seinem Büro das neue Stadtviertel auch mitgeplant hat – nämlich auf der Bruno-Marek-Allee. Sie ist das Zentrum des Nordbahnviertels in Wien-Leopoldstadt, in dem Lebens- und Arbeitsräume für 40.000 Wienerinnen und Wiener entstehen.

Ein in Bau befindliches Hochhaus und die Fassade des
Mehrere Hochhäuser werden noch gebaut. Rechts im Bild das preisgekrönte "Wohnprojekt Wien".
Lea Sonderegger

Diejenigen, die schon hier wohnen, sind begeistert – von den vielen Grünflächen, die vor allem Familien mit Kindern freuen, der guten Anbindung ins Zentrum und den freundlichen Nachbarinnen und Nachbarn. Nur in den Erdgeschoßen wünschen sich viele mehr Angebot. "Endlich haben wir eine Apotheke, aber Restaurants fehlen uns, etwa eine Pizzeria", sagt eine Frau, die gerade auf der Bruno-Marek-Allee unterwegs ist.

Wohnbauten im Nordbahnviertel
Hauptsächlich Wohnhäuser, in den Erdgeschoßen Geschäfte – von Letzteren wünschen sich die Bewohnerinnen und Bewohner noch mehr.
Lea Sonderegger

Wie im Dorf

Das Miteinander im Grätzl schätzen viele. "Es gibt kaum Zäune, die meisten Innenhöfe sind öffentlich zugänglich", sagt Scheuch und spricht von einer dörflichen Atmosphäre, in der man einander kennt und grüßt. Ob das auch so bleibt, wenn die vier Wohntürme fertiggestellt sind, die gerade noch gebaut werden, bezweifeln manche. Doch ihre zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner bringen hoffentlich die Frequenz, die noch fehlt, um die Einkaufsstraßen wirklich zu beleben.

Das Nordbahnviertel und eine Familie, die hier lebt.
Rafaela Kathan-Kupfner betreibt das Spielwarengeschäft Wildes Böckle an der Bruno-Marek-Allee im Nordbahnviertel. Für die Einkaufsstraße wünscht sie sich noch mehr Frequenz. Dennoch sind ihre Familie und sie begeistert vom neuen Grätzl.
Lea Sonderegger

Eine, die dort ihr Geschäft hat, ist Rafaela Kathan-Kupfner vom Spielwarengeschäft Wildes Böckle. Auch wenn sie im Viertel glücklich ist und sich über ihre vielen Stammkundinnen freut, sei das Betreiben eines Geschäfts hier wirtschaftlich herausfordernd. Laut Quartiersmanagement sind aktuell zwei Lokale in Planung, die in den nächsten Monaten eröffnen sollen, man wolle auch einen guten Mix erreichen. Dass das Angebot bisher nicht größer ist, liege unter anderem an der Personalnot in der Gastronomie. Die Preise für die Erdgeschoßlokale würden im marktüblichen Segment liegen.

Die Bruno-Marek-Allee im Nordbahnviertel, wo auch die Straßenbahn verkehrt.
Die Bruno-Marek-Allee ist die Geschäftsmeile des Nordbahnviertels.
Lea Sonderegger

Negative Rückmeldungen von Bewohnern gebe es betreffend Baulärm und dem Verkehr rund um die Baustellen. Manche wünschen sich auch mehr Parkplätze. Im Nordbahnviertel habe man sich aber bewusst, ebenso wie in anderen neuen Stadtvierteln, für Verkehrsberuhigung entschieden.

Und genau das ist einer der größten Vorteile, die das Viertel so lebenswert machen – das finden übrigens auch die meisten Anrainerinnen, zumindest die, die lieber Lastenrad als Auto fahren. (Bernadette Redl, 15.11.2023)