Eine EU-Richtlinie soll nun auch den Zugang der einzelnen Beschäftigten zu Gehaltsdaten ihrer Arbeitgeber:innen erleichtern.
Eine EU-Richtlinie soll nun auch den Zugang der einzelnen Beschäftigten zu Gehaltsdaten ihrer Arbeitgeber:innen erleichtern.
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Im Frühjahr wurden von der Europäischen Union neue Vorschriften zur Lohntransparenz angenommen. Diese neue EU-Richtlinie geht deutlich über das in Österreich seit 2011 gültige Lohntransparenzgesetz hinaus. Bis 2026 muss die Richtlinie, die ein stärkeres Instrument gegen Lohndiskriminierung bringen soll, umgesetzt werden.

Wichtige Eckpunkte der Richtlinie sind ein leichterer Zugang für Arbeitnehmer:innen hinsichtlich der durchschnittlichen Entgelthöhen der Geschlechter in ihrem Betrieb. Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigte müssen jährlich über das geschlechtsspezifische Lohngefälle Bericht erstatten, Unternehmen ab 150 Mitarbeiter:innen müssen dies alle drei Jahre tun – und zwar in einer einheitlichen Form. Beträgt das Lohngefälle mehr als fünf Prozent, müssen die Unternehmen Maßnahmen zur Verringerung dieser Kluft ergreifen. Auch Mehrfachdiskriminierung, etwa Entgeltdiskriminierung aufgrund der Herkunft und des Geschlechts, soll stärkere Berücksichtigung finden.

Nur durch Zufall

Sandra Konstatzky ist Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Sie sieht durch die EU-Richtlinie neue Chancen für Frauen, Entgeltdiskriminierung in einem ersten Schritt überhaupt zu entdecken, um dann auch dagegen vorgehen zu können. "Frauen erfahren meist nur durch Zufall, dass sie weniger verdienen", erzählt Konstatzky. Man bekomme irgendwie mit, dass der Kollege eine Gehaltserhöhung bekommt oder dass "ein netter Kollege einfach sagt, was er verdient". Der Nachteil an diesen Zufallsentdeckungen: Sie liefern oft keine handfesten Beweise für Lohndiskriminierung. Wenn Beschäftigte derzeit einen Verdacht haben, dass sie beim Lohn diskriminiert werden, können sie sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft wenden. Sie hat – derzeit im Gegensatz zu einzelnen Beschäftigten – ein Auskunftsrecht und kann sich Informationen über Vergleichspersonen und Einblick in die durchschnittlichen Gehälter, nach Geschlecht aufgeschlüsselt, verschaffen. Auch der Betriebsrat kann zurzeit einen Bericht einfordern.

Derzeit sollten Betriebe nur die Jahresgesamtgehälter von Männern und Frauen in den unterschiedlichen Gehaltsstufen und Lohngruppen vorlegen. Bei den Jahresgehältern müsse man aber aufschlüsseln, was davon Überstunden oder diverse Zulagen sind, erklärt Konstatzky eine der Hürden in der jetzigen Regelung. Die neuen Richtlinien würden deutliche Verbesserungen beim Zugang zu den Gehaltsdaten bringen. Bevor man in einem Betrieb anfängt, hat man zudem ein Auskunftsrecht über die Gehaltssituation im Unternehmen, arbeitet man schon dort, hat man ein Recht, in die Gehaltsentwicklung Einblick zu nehmen.

Raus aus der Tabuzone

Der Zugang zu Information wird auch dahingehend besser, dass eine Monitoringstelle geplant ist, bei der alle Unternehmen ihre Gehaltsdaten eintragen müssen. Damit verbessert sich die Vergleichbarkeit, auch zwischen den Branchen, sagt Konstatzky. Derzeit gestalten die Betriebe die Berichte eigenständig – und nur intern. Eine bessere und klarere Aufschlüsselung hilft auch bei der Frage: Hat eine vorliegende Lohndifferenz mit dem Geschlecht zu tun? 90 Prozent derer, die sich an die Gleichbehandlungsanwaltschaft wegen möglicher Entgeltdiskriminierung wenden, sind Frauen.

Der verbesserte Informationszugang zu den Gehaltsdaten nehme dem Gehaltsthema jedenfalls die bisher starke Individualisierung. "Damit kommt man ein Stück aus diesem Tabu raus, über Gehalt zu reden", sagt Konstatzky.

Zwar seien einzelne Fälle immer wichtig, denn darunter sind auch strategische Klagen, die letztlich für viele nachfolgende Fälle wichtig sind. Zum Beispiel eine Klage, bei der eine niedrig angesetzte Gehaltsforderung einer Arbeitsnehmerin als zulässiger Grund für eine schlechtere Bezahlung abgelehnt wurde. „Dass das Verhandlungsgeschick nicht als Rechtfertigung einer Diskriminierung genommen werden kann, ist eine Rechtsmeinung, die für viele wichtig ist, ist Sandra Konstatzky überzeugt.

Ein Knackpunkt war bisher auch die zwar bekannte, aber unklare Forderung "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit". Was das genau bedeutet, ist bis heute nicht klar definiert. Es müsse sich endlich etwas tun, um die Bewertung von Arbeit genauer durchführen zu können, sagt Konstatzky. Bei der Bewertung von Arbeit gehe es nicht nur um vergleichbare Tätigkeiten, vielmehr müsse man auch völlig unterschiedliche Jobs anhand einer analytischen Arbeitsbewertung vergleichen können.

Bewertungssysteme ändern

Man könne etwa zu den verschiedenen Anforderungen oder Umwelteinflüssen Punkte verteilen. Dann könne man die Bewertung des Jobs der Sekretärin oder des Haustechnikers leichter vergleichen. Das würde wiederum klären, ob der Umstand, dass eine Tätigkeit schlechter entlohnt wird, häufig darin begründet ist, dass sie vorwiegend von Frauen ausgeübt wird. Auch hierzu sieht Konstatzky Verbesserungen durch die EU-Richtlinie, denn es soll nun dafür eine Definition im Gesetz geben.

"Es fällt auf, dass bisher etwa psychosoziale Belastungen in den jetzigen Bewertungssystemen nicht gut abgebildet sind", meint Konstatzky. Zum Beispiel, ob man freundlich sein muss, schnell Probleme lösen oder viele verschiedene Arbeitsaufträge gleichzeitig erledigen muss. All das sollte man laut Konstatzky stärker in den Fokus nehmen.

Das sei auch ein Auftrag an die Kollektivvertragsparteien, die Arbeitsbewertungen genau zu analysieren. Damit würde der Interpretationsspielraum für gleichwertige Arbeit geringer werden. "Das ist besonders wichtig, denn als einzelne Person gleichwertige Arbeit durchzusetzen heißt auch, sich gegen ein ganzes Bewertungssystem zu stemmen", sagt die Juristin.

Verankert ist in der Richtlinie auch, dass es eine stärkere Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierung geben soll. "Wir sehen bei unseren Fällen von Entgeltdiskriminierung oft, dass sie in Verbindung mit Alter oder ethnischer Herkunft stehen", sagt Konstatzky, die einen intersektionalen Ansatz bei Entgeltdiskriminierung für wichtig hält – und damit den Blick darauf, dass Diskriminierung oft mehrere Ursachen hat als nur die des Geschlechts. (Beate Hausbichler, 8.11.2023)