Im Gastblog stellt der Architekturkritiker Peter Reischer ein architektonisches Projekt aus Irland vor.

Irland ist geprägt von einer üppigen Natur mit – durch den Golfstrom begünstigten – bis zu zehn Meter hohen Oleanderbäumen und Feigenbäumen wie in Griechenland. Aber auch durch eine Vielzahl imposanter und wichtiger Kulturdenkmäler aus den vergangenen Jahrhunderten. Von den Kelten, Römern und Normannen zeugen eindrucksvolle Bauten und deren Überreste.

In der Grafschaft Kilkenny liegt in der gleichnamigen Stadt die St. Mary's Hall – früher nannte man sie St. Mary's Church –, eine im 13. Jahrhundert gegründete Kirche. Nach ihrer Nutzung als Kirche und als Loge der örtlichen Freimaurer seit Mitte des 20. Jahrhunderts kaufte sie das Kilkenny Borough Council im Jahr 2010. Der Plan war, sie in ein Mittelaltermuseum zu konvertieren, welches zukünftig den Ausgangspunkt für die Medieval Mile, eine touristische Wanderroute entlang der vielen Monumente, über die Kilkenny als irische Hauptstadt aus dem Mittelalter noch immer verfügt, darstellen sollte.

Außenansicht der Kirche.
Die Chorerweiterung beziehungsweise Wiederherstellung.
Foto: Christian Richters

Neugestaltung mit Grundlagenforschung

Das Medieval Mile Museum in Kilkenny enthält eine der bemerkenswertesten Sammlungen alter Grabplatten und mittelalterlicher Steinskulpturen der Renaissance in ganz Irland. Erbaut beziehungsweise die St. Mary's Church dazu umfunktioniert haben es die McCullough Mulvin Architects aus Dublin. Es ist ein interessanter und ungewöhnlicher Beitrag eines sensiblen Bauens im Bestand unter Einbeziehung der Archäologie.

Das Gebäude ist eine in Kreuzform angelegte Steinstruktur aus dem 13. Jahrhundert, der Turm an seiner Westseite stammt aus einer späteren Zeit. Der Bau befindet sich in einem mit Mauern umgrenzten Friedhof auf der rechten Seite der High Street in Kilkenny. Der Friedhof mit seinen mit Efeu umrankten Gräbern und Denkmälern aus dem 13. Jahrhundert wurde kürzlich auch für die Bevölkerung als Gartenbereich geöffnet. In Zusammenarbeit mit dem Denkmalschutz, Archäologen und Archäologinnen begann das Architekturbüro 2010 einen langen Prozess der Grundlagenforschung und Überlegungen, der erst 2017 fertiggestellt wurde.

Innenraum der Kirche mit sichtbarem Dachgebälk.
Innenraum der Kirche mit sichtbarem Dachgebälk.
Foto: Christian Richters

Rekonstruktion und Intervention

Die ursprüngliche Komplexität und Raumtiefe wurde in späterer Zeit teilweise abgerissen, beseitigt und zerstört. Der Chor existierte nicht mehr, verschiedene Zu- und Einbauten waren in einem eher unsensiblen Vorgang zugefügt worden. Im Inneren hatte man Wände und Ebenen eingezogen, um den Raum als Kirche/Versammlungsort weiter funktionieren zu lassen.

Das Konzept der Architekten und Architektinnen sah nun vor, in dem zu errichtenden Museum einige der Interventionen aus der letzten Zeit zu erhalten, aber gleichzeitig die Komplexität und Raumtiefe des mittelalterlichen Ursprunges durch die Rekonstruktion des Nordschiffes und des Chors zu betonen. Dieser Vorgang sollte dabei die Fundamente der alten Mauern und deren Materialität – in einer nicht überdeckenden Art – als Ausgangsbasis benutzen. Die McCullough Mulvin Architects interpretierten die Fundstellen einfach neu. Der Raum des Chors mit der offenen Stirnseite überblickt heute wieder die ganze Stadt, seine Wiedererrichtung stellt somit auch eine Dominante für die Stadtlandschaft dar. Der Bereich unter ihm wurde zur Krypta, welche durch einen teilweisen Glasboden betrachtet werden kann. Der neu errichtete Chor sowie ein zweiter Zubau an der Nordseite neben dem Turm wurden mit Satteldächern versehen, beide erhielten eine Eindeckung und Wandverkleidung aus Blei und sind somit eindeutig aber doch unauffällig als Neuzufügungen erkennbar. Der Chor führt damit auch optisch den Umriss der Kirche weiter.

Außenansicht der Kirche.
Außenansicht der Kirche.
Foto: Christian Richters
Innenraum der Kiche
Der Chor öffnet sich mit einer Glaswand zur Stadt hin.
Foto: Christian Richters

Kombination vieler Jahrhunderte

Das mittelalterliche Gebäude benötigte einige Erweiterungen, um die Kunstwerke in einer kontrollierten Umgebung zur Schau stellen zu können. Einer ist der schon erwähnte Zubau mit Satteldach, der auch als Eingang in das Museum dient. Das Projekt verbindet nun eine sensible Restaurierung mit zeitgemäßem Design in einer exemplarischen Qualität. Es war auch ein Experiment durch die Einbeziehung der Archäologie, um die endgültigen architektonischen Lösungen zu bestimmen, man entdeckte dabei zum Beispiel die ursprünglichen Bodenplatten der Säulen circa 80 Zentimeter unter dem derzeitigen Boden. Der Chor ist ein bisschen in seiner Größe reduziert, die Schiffe bekamen wieder Achsen – dazu haben die Archäologen und Archäologinnen anhand der unterirdischen Fundamente die Angaben geliefert. Im Außenbereich fand die Archäologin Claire Walsh die Grundmauern des ursprünglichen mittelalterlichen Turmes, der im 19. Jahrhundert eingestürzt war.

Man hat auch neue Elemente, welche die räumliche Komplexität betonen und eine Folge von inneren Blickachsen schaffen, hinzugefügt. Diese Additionen sind aus Holz und aus dem Material Blei, weil dessen Weiche und Geschmeidigkeit sich wie eine zusätzliche Folie zum irischen Stein und dem grauen Himmel fügt. Das Architekturbüro arbeitete mit der Natur des Bauwerkes, fügte einen neuen Steinboden (Kilkenny-Stone) ein, reparierte Fehlstellen und ließ einen großen Bereich des hölzernen Dachstuhls als zentralen Fokus des Innenraumes offen. Mit ähnlicher Großzügigkeit sind auch die musealen Ausstellungstücke, Grabplatten und Kreuze vor komplett weißen Flächen inszeniert. Manche lehnen einfach nur an Brüstungen, andere sind auf gitterähnlichen Strukturen aufgehängt wie Bilder in einem Lager.

Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters
Foto: Christian Richters

Die Wandstrukturen wurden in den verschiedensten Bereichen genau analysiert, der Großteil des Verputzes in den unteren Ebenen war Gips und wurde entfernt, dabei entdeckte man Pfeiler, dekorierte Steine und vermauerte Fenster. So kam langsam die ganze spirituelle Majestätik des Raumes wieder zum Vorschein. Um diese zu unterstreichen, benutzte man die Archäologie als Ideengenerator, und so entstand eine in Irland bisher einzigartige Verbindung zwischen Alt und Neu, zwischen vergangener und neuer Architektur. (Peter Reischer, 25.5.2023)