In seiner Partei seien viele "schockiert" über die "sehr ernsten Anschuldigungen" – auf diesen Nenner brachte am Freitag der schottische Ministerpräsident Humza Yousaf die Anklage wegen Unterschlagung gegen den früheren langjährigen Generalsekretär der Nationalpartei SNP. Im Privatleben ist Peter Murrell der Ehemann der langjährigen Edinburger Regierungschefin Nicola Sturgeon (2014–2023), der einstigen Lichtgestalt der Unabhängigkeitsbewegung. Auch die 53-Jährige gilt bei der Glasgower Kripo als Beschuldigte in der seit Jahren schwelenden Affäre um die Parteifinanzen.

Ex-Regierungschefin Nicola Sturgeon und ihr Ehemann Peter Murrell.
Ex-Regierungschefin Nicola Sturgeon und ihr Ehemann Peter Murrell. Gegen beide wird ermittelt.
AP/Scott Heppell

Die sensationelle Anklage sowie der nun bevorstehende Strafprozess stellen Yousafs größtes, aber keineswegs einziges Problem im beginnenden Wahlkampf für die im Herbst erwartete Unterhauswahl dar. Am früheren Verkehrsstaatssekretär Yousaf klebt in der Bevölkerung bis heute eine dilettantische Beschaffung neuer Fähren für die vielen Inseln vor der schottischen Westküste. Mit dem Bau neuer Schiffe wurde eine Firma ohne einschlägige Erfahrung beauftragt; der entsprechende Prüfbericht sprach von einem Millionenverlust. Immer neue Verzögerungen beim Einsatz neuer Fähren erinnern die Schottinnen stets aufs Neue an die Versäumnisse aus Yousafs Amtszeit.

Enttäuschung überall

Zu Monatsbeginn erwies sich ein neues Gesetz gegen die verbale Diskriminierung von Minderheiten als Rohrkrepierer. Binnen einer Woche gingen bei der ohnehin total überlasteten Polizei mehr als 3000 Anzeigen wegen der sogenannten Hassverbrechen ein; Frauenrechtlerinnen zeigten sich empört darüber, dass nun zwar Behinderte, Alte, Juden und Muslime sowie Transgenderpersonen Schutz genießen, misogyne Äußerungen aber nicht unter Strafe stehen.

Auch Klimaaktivisten sind schwer enttäuscht von der durch die Grünen geduldeten SNP-Minderheitsregierung. Am Donnerstag musste Klimaschutzministerin Mairi McAllan im schottischen Parlament einräumen: Die noch aus Sturgeons Amtszeit stammenden ehrgeizigen Ziele auf dem Weg zu Net Zero – "weltweit führend", hatte sich die Regierungschefin damals gelobt – werden nicht eingehalten. Bis 2030 sollte der Ausstoß klimaschädlicher Emissionen im Norden des Vereinigten Königreichs um 75 Prozent reduziert werden. "Das können wir nicht erreichen", sagte McAllan und machte dafür verringerte Zuschüsse sowie den Gesinnungswandel der konservativen Londoner Zentralregierung unter Premier Rishi Sunak verantwortlich. Tatsächlich hat die unabhängige Klimakommission CCC auch in deren Ziel (68 Prozent) "wenig Zutrauen".

Geld da, Referendum nicht

In der peinlichen Finanzaffäre rund ums Ehepaar Sturgeon steht die stattliche Summe von 666.953 Pfund (779.000 Euro) in der Debatte. Das Geld hatte die SNP für das seit 2017 angestrebte zweite Referendum über Schottlands Unabhängigkeit eingesammelt; das Vorhaben ist bisher nicht nur am energischen Widerstand der konservativen Regierung in London gescheitert, sondern auch am von Schotten geführten Supreme Court des Königreichs. Bei der Volksabstimmung vor zehn Jahren hatten sich die Bürger mit 55 zu 45 Prozent für den Fortbestand der Union entschieden.

Regierungschef Humza Yousaf in einer Windkraftanlage. Die Klimaziele der Regierung dürften verfehlt werden.
REUTERS/Lesley Martin

Fragen zu den Finanzen der Partei und der vor allem von der SNP getragenen Unabhängigkeitsbewegung gibt es spätestens seit 2020, das polizeiliche Ermittlungsverfahren ist mittlerweile beinahe drei Jahre alt. Im Mittelpunkt aller Ermittlungen stand von Anfang an der langjährige Generalsekretär Murrell, heute 59, der zwei Jahrzehnte lang als wichtigster Strippenzieher der Nationalpartei amtierte, zunächst unter dem ersten SNP-Ministerpräsidenten Alex Salmond, der mittlerweile die neue Alba-Party anführt. Als Sturgeon das Parteizepter übernahm, blieb Murrell dennoch im Amt, was die fast schon stalinistisch geführte Partei ohne Murren hinnahm, geblendet von den glänzenden Wahlergebnissen unter dem Power-Paar. Im Finanzskandal haben Murrell und Sturgeon stets ihre Unschuld beteuert.

Für den glücklosen Yousaf und seine Partei sieht es stockfinster aus, egal wie der Strafprozess endet. Die Dominanz der SNP sei "so gefährdet wie seit 2011 nicht mehr", analysiert Politikprofessor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität. In jüngsten Umfragen liegen die Nationalisten gleichauf mit der Labour-Party unter Oppositionsführer Keir Starmer. (Sebastian Borger aus London, 19.4.2024)