Kind mit Brot und Nutella
"Mutti weiß, wie Kinder heute gut und modern ernährt werden", sagt alte Nutella-Werbung.
APA/dpa/Hendrik Schmidt

Als der Familienbetrieb Ferrero am 20. April 1964 das erste Glas Nutella abfüllte, machte niemand einen Bahö wegen bedenklicher Zutaten. Von zu viel Zucker oder gar von klimaschädlichem Palmöl war keine Rede. Es galt damals vielmehr als besondere Leistung, bei der Produktion von Süßwaren möglichst den Kakao durch gemahlene Haselnüsse zu ersetzen. Die braune Creme, die dabei entstand und besser als Nougat bekannt ist, gab es zwar schon vorher in vielen Greißlereien des Piemont zu kaufen. Nur hatte niemand daran gedacht, so wie Michele Ferrero vor genau 60 Jahren in Alba, den picksüßen Brei in Gläsern anzubieten und somit viel einfacher über die Grenzen in Richtung Norden zu bringen. Von Anfang an zählten die deutschen und österreichischen Familien zu den treuesten Abnehmern.

Herbert sagt "guat"

In den 1970er- und 1980er-Jahren hat die italienische Werbung im Inland fast schon grantig darauf hingewiesen, dass im Ausland bereits viel mehr von der "Supercrema" (so lautete der Name kurz nach Markteinführung) verputzt wird. Es kursierten Plakate mit einem blonden, blauäugigen Burschen "aus dem blumigen Österreich", der Lederhose und Filzhut trug und den die Agentur von Ferrero Herbert taufte. Sie legte ihm vorwurfsvoll auf Italienisch in den Mund: "Herbert sagt: 'Nutella is guat' – und was sagst du?" Auch was in westdeutschen Haushalten angeblich über Nutella gedacht wurde – im Osten gab es ja schon bald die DDR-Konkurrenz "Nudossi" –, ist auf Werbeplakaten lange vor Angela Merkels Amtszeit überliefert: "Mutti weiß, wie Kinder heute gut und modern ernährt werden" steht da unter einem blonden Schleckermäulchen. Es beißt in ein mit Nutella zugepflastertes Weißbrot, welches es so im Land der Pumpernickel vermutlich zu keiner Zeit gab. Aber immerhin gut, dass einfache Erziehungsberechtigte damals noch bestimmen durften, was gesund ist. Denn heute würden ihre gut informierten Kinder vehement widersprechen.

"Palmöl ist schlecht", bekommen heute Volksschulkinder zu hören, und die Mama kriegt womöglich Schimpf, wenn sie das "böse Braune" auf den Frühstückstisch stellt – in der naiven Absicht, nur die allersüßesten Freuden bereiten zu wollen. 2015 rief sogar die französische Umweltministerin Ségolène Royal zum Boykott gegen Nutella, weil für Palmöl Regenwaldflächen gerodet werden müssten. Ferrero antwortete darauf, dass man sich verpflichtet habe, nur "Palmöl zu beziehen, das frei von Abholzung und Ausbeutung ist". Greenpeace konterte wiederum, dass die Zertifizierungssysteme eine Farce seien, die Abholzung weiter zunähme und den Menschen vor Ort die Lebensgrundlage geraubt werde. Auch der World Wildlife Fund (WWF) schaltete sich ein, mit einer differenzierten Sicht. Palmöl sei nicht nur in Nutella zu finden, sondern auch in Tiefkühlpizzen, Lippenstiften, Schokolade, Packerlsuppen und Waschmitteln. Wir alle würden jeden Tag Palmöl konsumieren, ganz ohne Nutella. Das wiederum spielte Ferrero in die Karten, die noch dazu ins Treffen führten, es sei "die Zutat, die die Creme so streichzart, cremig und stabil macht". Die Creme bleibe nur dadurch bei Zimmertemperatur halbfest, Palmöl oxidiere weniger schnell als andere Öle.

Kosten oder Fläche sparen

Dabei kommen andere Schokocremes sehr wohl ohne diese Zutat aus. Lebensmittelchemiker werfen deshalb ein, Ferrero würde durch Palmöl lediglich Geld sparen, weil der Flächenertrag pro Hektar viel höher als bei Sonnenblumen- oder Rapsöl sei. Doch genau der Flächenverbrauch sei ja die Krux, widerspricht wiederum der WWF. Auf Palmöl zu verzichten und einfach andere Fette zu verwenden verschiebe das Problem nur. Wird Palmöl beispielsweise durch Sojaöl ersetzt, würde man die sechsfache Fläche benötigen, eine ähnliche Rechnung könnte man für Raps und Sonnenblumen aufstellen, die zwar nicht in den Tropen wachsen, aber auch mehr Fläche benötigen als Palmöl. Dem Konsum des braunen Aufstrichs tut das Abbruch. Täglich werden 790 Tonnen Nutella weltweit gegessen, das sind neun Kilogramm pro Sekunde.
Das Image der Nougatcreme ist durch die lange Palmöldiskussion aber zumindest angeranzt. Dabei sind wir noch gar nicht bei den anderen Zutaten angelangt.

Nutella-Glas
Was in einem 400-Gramm-Glas Nutella steckt, ist Gegenstand vieler aktueller Diskussionen.
imago/Newscast

Laut Spiegel-Recherchen verbraucht der italienische Konzern mehr Haselnüsse als jede andere Firma der Welt. Knapp ein Viertel der weltweiten Ernte soll das Unternehmen kaufen, die meisten Nüsse gehen in die mehr als 400 Millionen Gläser Nutella, die Jahr für Jahr produziert werden. Rund 700.000 Tonnen Nüsse werden in der Türkei pro Jahr geerntet, etwa ein Drittel sichert sich Ferrero. Und genau das war einst Grund für den stellvertretenden italienischen Ministerpräsidenten Matteo Salvini, Nutella boykottieren zu wollen. Bei einem früheren Wahlkampfauftritt meinte er, dass ihm der Brotaufstrich wegen der türkischen Nüsse nicht italienisch genug sei. "Gib dem Affen Zucker", ist man da versucht zu entgegnen in Anlehnung an die Filmkomödie mit Adriano Celentano und Ornella Muti. Zum Beispiel die 72 Stück Würfelzucker, die in einem 400-Gramm-Glas stecken. (Sascha Aumüller, 20.4.2024)